Hunderte Unterstützer des suspendierten Präsidenten Yoon Suk-yeol hatten vor dessen Residenz die Festnahme mitverfolgt. Sie schwangen südkoreanische und US-amerikanische Fahnen und riefen "Illegaler Haftbefehl!" und "Stoppt den Diebstahl" – wie einst Trump-Anhänger, die dessen Niederlage bei der US-Wahl 2020 anzweifelten. Auf der anderen Seite: Protestierende, die einen Prozess und die "Rettung der Demokratie" forderten.
Praktisch zeitgleich mit seiner Festnahme wurde ein Video veröffentlicht, in dem Yoon die "illegalen Ermittlungen" und den "Zusammenbruch des Rechtsstaats" anprangert. Das Kriegsrecht nennt er eine "Ausübung der Autorität des Präsidenten zur Bewältigung einer nationalen Krise".
Was bedeutet die beim zweiten Versuch erfolgreiche Festnahme Yoons – und wie könnte es in Südkorea weitergehen? Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Was war passiert?
Zur Erinnerung: In der Nacht des 3. Dezembers rief Südkoreas konservativer Präsident Yoon Suk-yeol völlig überraschend das Kriegsrecht aus. Soldaten umstellten das Parlament. Zeitgleich gingen Hunderttausende aus Protest spontan auf die Straße und hinderten das Militär daran, vorzurücken. Zu gewaltsamen Zusammenstößen kam es wundersamerweise nicht.
Nach großem Druck nahm Yoon das Kriegsrecht bereits wenige Stunden später wieder zurück. Das Parlament votierte für eine Absetzung des Präsidenten, über die das Verfassungsgericht noch entscheiden muss. Das Verfahren begann vergangenen Dienstag, wurde aber abgebrochen, weil Yoon nicht erschienen war. Auch wegen Anstiftung zu öffentlichem Aufruhr wird gegen ihn ermittelt. Noch nie zuvor war gegen einen amtierenden südkoreanischen Präsidenten Anklage erhoben worden.
Warum hatte Yoon das Kriegsrecht ausgerufen?
Um sein Land vor der "Bedrohung durch die kommunistischen Streitkräfte Nordkoreas" zu schützen, so Yoon. Er wirft der Opposition Wahlbetrug bei den Parlamentswahlen im April 2024 vor. Die Opposition verfügt im Parlament über die Mehrheit der Sitze und hatte zuletzt konsequent Yoons Regierung blockiert. In der Nacht, in der Yoon das Kriegsrecht ausrief, schickte er deswegen 300 Soldaten in die Büros der Wahlkommission.
Yoons Volksmacht-Partei (PPP) verfolgt einen proamerikanischen Kurs, hat zuletzt eine Zusammenarbeit mit Japan forciert. Die oppositionelle Demokratische Partei (DP) unter Lee Jae-Myung wiederum forciert einen Austausch mit Nordkorea, um Spannungen zu verringern, und geht auf Distanz zur traditionellen Schutzmacht, den USA und ihren Verbündeten wie Japan. Sie nennt Yoon einen "Schwerverbrecher".
Warum wurde Yoon nicht früher verhaftet?
Yoon hatte sich wochenlang in seiner Präsidentenresidenz verschanzt, hinter hohen Mauern, Stacheldrahtzaun und seinem Sicherheitsdienst. Ein erster Festnahmeversuch Anfang Jänner misslang, nachdem sich rund 200 Soldaten und Securitys den Behörden in den Weg gestellt hatten. Währenddessen gingen in Südkorea Hunderttausende für oder gegen die Festnahme Yoons auf die Straßen.
Auf wessen Seite steht die Bevölkerung?
Yoons konservative und proamerikanische Anhänger übernehmen dessen Erzählung, dass die Parlamentswahlen im April 2024 von der Opposition gestohlen worden seien – obwohl es dafür keine Beweise gibt. Sie sehen Ähnlichkeiten zu Donald Trumps Legende, die US-Wahl 2020 sei von den Demokraten manipuliert worden, und zu dessen "juristischer Verfolgung" – deswegen auch die ähnlichen Slogans und die US-Flaggen bei den Protesten.
Jene Hunderttausende, die gegen Yoon auf die Straße gingen, sehen ihn als Bedrohung für Südkoreas Demokratie und den Rechtsstaat. "Trotz unserer Bemühungen entzieht er sich weiterhin der Verantwortung. Wir werden unsere Stimme erheben, bis er aus dem Amt entfernt wird", zitiert die AFP einen Demonstranten in Seoul.
Was droht Yoon?
Yoon muss sich einer Befragung stellen. Berichten zufolge umfassen die Fragen nicht weniger als 200 Seiten. Die Behörden haben 48 Stunden Zeit, ihn zu verhören – dann wird er entweder freigelassen oder ein neuer Haftbefehl erlassen. Dann könnte Yoon bis zu 20 Tage festgehalten werden. Bei einem Strafprozess könnte Yoon eine lebenslange Haftstrafe oder, obwohl sehr unwahrscheinlich, sogar die Todesstrafe drohen. Yoon hat erklärt, die Anklage anfechten zu wollen.
Das Verfassungsgericht setzt am Donnerstag seinen Prozess fort, unabhängig von der Anwesenheit des Angeklagten. Der gesamte Prozess muss innerhalb von 180 Tagen nach dem Tag der Amtsenthebung abgeschlossen sein; wird Yoon letztendlich seines Amtes enthoben, müssen innerhalb von 60 Tagen Neuwahlen stattfinden.
Auffallend ist, dass in einer aktuellen Umfrage die Beliebtheitswerte von Yoons PPP seit Monaten erstmals wieder leicht ansteigen: von 24 Prozent vor einem Monat auf 34 Prozent, während die Zustimmung für die oppositionelle DP sinkt (von 48 Prozent auf 36 Prozent). Zwar unterstützt in der Umfrage eine Mehrheit noch immer die Amtsenthebung, aber die Zahl ist geschrumpft: auf 64 Prozent im Vergleich zu 75 Prozent vor einem Monat. 32 Prozent sagen, Yoon sollte im Amt bleiben, so die Umfrage von Gallup Korea.
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