US-Soldaten an Nordkorea-Grenze : "Sie waren immer Monster für mich"
In der Demilitarisierten Zone zwischen Nord- und Südkorea kommt es immer wieder zu Zusammenstößen. Erst am Dienstag lief ein US-Soldat über die Grenze. Der KURIER war vor kurzem selbst vor Ort.
Am Dienstag eskalierte die Situation an der schwerstbewachten Grenze der Welt, im kleinen Ort Panmunjeom, erneut. Ein in Südkorea stationierter US-Soldat lief plötzlich auf die nordkoreanische Seite - und wurde sofort verhaftet.
Der KURIER war vor sechs Wochen selbst in Panmunjeom und hat dort auch mit US-Soldaten über die angespannte Situation gesprochen.
Einmal, als er sich sicher war, dass ihn keiner der Kameraden sehen konnte, habe er den Nordkoreanern zugewunken, sagt Min-Soo. „Das war zwar verboten, aber später habe ich erfahren, dass wir das alle gemacht haben.“
Min-Soo ist ein kleiner Mann. Mit seinem runden Bauch und den dicken Brillengläsern wirkt er heute nicht mehr wie ein Soldat. Doch als Touristenführer fährt er mit seinem Bus jeden Tag an dem Grenzposten vorbei, an dem er Ende der Neunziger drei Monate lang stationiert war.
Hier, im Herzen der Demilitarisierten Zone (DMZ) an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea, liegen nur 700 Meter Luftlinie zwischen den Grenzposten auf beiden Seiten. Die Soldaten können einander mit bloßem Auge sehen – doch ihre Lebensrealitäten trennen Welten.
Obwohl Min-Soos Vater noch vor Ausbruch des Krieges aus dem Norden geflohen war, „habe ich Nordkoreaner immer als Monster angesehen“, gibt er zu. Erst, als er durch das Fernglas gesehen habe, wie ihm die feindlichen Soldaten zurückgewunken hätten, „sind sie für mich zu Menschen geworden“.
Seit 73 Jahren sind Nord- und Südkorea durchgehend im Krieg
Heute wünscht sich Min-Soo eine Wiedervereinigung mit dem Norden. Doch die liegt in weiter Ferne. Offiziell haben Nord- und Südkorea nie Frieden geschlossen, beide Länder halten seit 73 Jahren lediglich einen Waffenstillstand aufrecht.
Damit der auch hält, richteten die Vereinten Nationen 1953 die DMZ ein: Sie erstreckt sich auf beiden Seiten entlang der Grenze je vier Kilometer ins Landesinnere und darf ausschließlich von UNO-Truppen bewacht werden. Nur im kleinen Ort Panmunjeom, der „gemeinsamen Sicherheitszone“, kommt es zum Sichtkontakt zwischen nord- und südkoreanischen Soldaten. Immer wieder fallen hier Schüsse, zuletzt 2020.
Min-Soo ist einem solchen Vorfall damals nur knapp entgangen. „Nur ein Jahr, nachdem ich weg war, ist unser Posten getroffen worden. Drei Schüsse aus dem Flak-Geschütz“, sagt er und schüttelt den Kopf. Bis heute sieht das südkoreanische Militär vor, jede Aggression aus dem Norden fünffach zurückzuzahlen – der nordkoreanische Grenzposten wurde völlig zerstört. Weil der Wehrdienst im Norden zehn Jahre andauert, so Min-Soo, „war sicher einer, der mir damals zugewunken hat, unter den Toten.“
US-Soldat: "Die Stimmung ist extrem angespannt"
Auch José kennt das Gefühl der ständigen Bedrohung. Der 23-Jährige New Yorker ist einer von fast 30.000 US-Soldaten in Südkorea. Wegen der Spannungen mit China und Nordkorea verstärken die USA ihre Präsenz vor Ort seit Jahren massiv. Vor drei Monaten wurde er in eine Basis knapp außerhalb der DMZ versetzt.
„Die Stimmung ist extrem angespannt, sobald wir das Lager verlassen“, sagt José. Der Sohn dominikanischer Einwanderer ist groß und muskulös, doch wenn er spricht, hält er kaum Blickkontakt.
Er erzählt davon, dass der Alltag hier ganz anders sei als in den USA. Dass seine Vorgesetzten bei Märschen und Patrouillengängen absolute Ernsthaftigkeit einfordern, weil fast das gesamte Gelände abseits der Wege vermint ist. Dass ihm schon an seinem ersten Tag von den zwei US-Soldaten erzählt wurde, die 1976 bei einem Unterstützungseinsatz für die UNO-Truppen in der DMZ von Nordkoreanern mit Äxten getötet wurden.
„Wer sich hier das kleinste disziplinarische Vergehen leistet, muss nach Hause fliegen“, sagt José. „Und gerade am Wochenende, wenn man frei hat, unter sich ist und der Alkohol fließt, kommt es durchaus mal zu Streitereien.“ Wie die meisten seiner Kameraden fährt er daher an jedem freien Tag in die Hauptstadt Seoul.
Unbekümmertheit in Seoul: "Denke nie an Nordkorea"
Dort, nur rund eine Stunde Autofahrt von der DMZ entfernt, spielt die Gefahr aus dem Norden im Alltag der Metropole längst keine Rolle mehr. „Das ist ein Thema, das nur Ausländer beschäftigt. Ich denke eigentlich nie an Nordkorea“, sagt die 26-jährige Yebin.
Damit ist sie nicht alleine: Vor drei Jahren gaben in einer Studie 40 Prozent der befragten Südkoreaner an, in der vergangenen Woche nicht ein einziges Mal an den Konflikt mit Nordkorea gedacht zu haben. Nur zehn Prozent sagten, er würde ihnen zumindest an jedem zweiten Tag in den Sinn kommen.
Yebin verbringt den Sonntag bei einem Picknick mit Freunden in einem Park am Ufer des Han-Flusses. Hinter den Bäumen ringsum ragen gläserne Wolkenkratzer hervor. Nicht einmal die regelmäßigen Meldungen über nordkoreanische Raketentests könnten ihr diese Idylle verderben: „Die hört man ständig, und angreifen werden sie uns sowieso nie.“
Eine mögliche Wiedervereinigung war für Yebin nur ein einziges Mal, während ihrer Schulzeit, Thema: „In der High School musste ich bei einer Arbeit dafür und dagegen argumentieren.“
"Das Problem ist die Kim-Familie"
Min-Soo macht das jeden Tag, wenn er Touristen mit seinem Bus durch die DMZ führt. Der wirtschaftliche Unterschied zwischen Nord- und Südkorea sei heute zehnmal größer als jener zwischen der DDR und der BRD bei der deutschen Wiedervereinigung.
„Das Problem ist die Kim-Familie, nicht das nordkoreanische Volk“, sagt er. „Ich wäre sehr dafür, unseren armen Brüdern im Norden zu helfen. Aber ich glaube nicht, dass ich die Wiedervereinigung noch erleben werde.“
(kurier.at, jar)
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Aktualisiert am 19.07.2023, 10:45
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