Warum der Sudan das aktuell größte Flüchtlingscamp der Welt ist
Das drittgrößte Land Afrikas zählt die meisten Binnenflüchtlinge weltweit: Neun Millionen Menschen sind wegen des Bürgerkriegs auf der Flucht, und die Welt sieht zu.
Der Sudan gleicht einer Blackbox: Abgesehen von einzelnen, verwackelten Videos in den sozialen Netzwerken dringen kaum Infos nach außen; überprüfbare Einblicke darüber, wer welche Regionen kontrolliert, bekommt man kaum.
Abdirahman Ali, der für den Sudan zuständige CARE-Länderdirektor, schildert gegenüber dem KURIER die fatalen Zuständen: "25 Millionen Menschen sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, das ist die Hälfte der Bevölkerung. Fünf Millionen Menschen sind in einer wirklich katastrophalen Lage. Sie müssen um ihr Überleben fürchten, es mangelt an Zugang zu Nahrung, Trinkwasser, Sanitäranlagen." Gleichzeitig häuften sich die Fälle von Durchfallerkrankungen, Cholera und tropischen Krankheiten wie Malaria. "Es ist unvorstellbar, wie die Menschen überleben."
Seit über einem Jahr tobt der Krieg zwischen dem Militär um General Abd al-Fattah al-Burhan und den paramilitärischen "Rapid Support Forces", kurz RSF, von al-Burhans ehemaligem Stellvertreter Mohammed Hamdan Dagalo. Die geplante Eingliederung der 100.000 RSF-Mitglieder in die Armee hat Ende 2022 bestehende Spannungen zwischen den Kräften verschärft, die 2021 noch gemeinsam gegen die damalige Übergangsregierung geputscht hatten. Seit April 2023 wird im ganzen Land gekämpft.
Im April 2023 brach der "Krieg der Generäle" aus: Der Anführer der paramilitärischen „Rapid Support Forces“ (RSF), General Mohammed Hamdan Dagalo, kämpft gegen die sudanesische Armee unter Abd al-Fattah al-Burhan. Die Stadt Al-Fashir, wo aktuell heftig gekämpft wird, gilt als wichtigster Knotenpunkt für Hilfslieferungen, ist also für beide Konfliktparteien strategisch wichtig, 47 Millionen Einwohner zählt der Sudan, die Hälfte ist auf humanitäre Hilfe angewiesen. Neun Millionen sind auf der Flucht, die WHO warnt vor einer Hungersnot.
Derzeit sammeln sich die Kämpfe um Al-Fashir im Westen, die Stadt gilt als die letzte Hochburg der Armee in der Region. Täglich fallen Raketen, die die RSF aus den Vereinigten Arabischen Emiraten und Russland erhalten. Zuletzt haben die Paramilitärs das letzte dort funktionierende Krankenhaus gestürmt und das Feuer eröffnet; danach haben Ärzte ohne Grenzen und das Gesundheitsministerium alle Aktivitäten im Spital gestoppt.
Flucht ohne Sicherheit
Die Flucht aus der Stadt in die umliegende Region Darfur ist qualvoll: Auf dem mehr als 300 Kilometer langen Weg sind die Menschen laut CARE Temperaturen von über 50 Grad Celsius ausgesetzt, ohne genügend Nahrung oder Trinkwasser.
Der Süden und Osten Darfurs zählt die meisten Geflüchteten des Landes. Insgesamt haben rund neun Millionen Menschen ihr Zuhause verloren, unzählige bereits zum wiederholten Mal. Über sieben Millionen befinden sich innerhalb des Landes auf der Flucht – so viele wie in keinem anderen Land der Welt. Zwei Millionen sind in die Nachbarländer geflohen, allen voran in den Tschad und den Südsudan; Länder, die Schwierigkeiten haben, selbst die eigene Bevölkerung zu ernähren.
Abdirahman Ali spricht sehr bedacht. CARE ist vor Ort auf Zusammenarbeit mit den Machthabern der jeweiligen Regionen angewiesen. Die größte Schwierigkeit sei im Moment "die eingeschränkte Bewegungsfreiheit von Material, Ressourcen und Helfern. Wir sind in Darfur und um die Hauptstadt Khartum tätig, dazwischen gibt es Frontlinien und Check-Points zu passieren. Oft wird die Erlaubnis verwehrt, das schränkt unsere Hilfsmöglichkeiten stark ein", so Ali.
Neben den Kriegen in der Ukraine und in Gaza läuft jener im Sudan so gut wie unter dem Radar der Welt. Das zeige die finanzielle Hilfe: "Derzeit sind gerade mal 16 Prozent unserer benötigen finanziellen Mittel gedeckt", so Ali.
Wie viele Menschen gestorben sind, weiß niemand genau. Manche Schätzungen gehen von bis zu 150.000 Toten aus, darunter laut CARE auch humanitäre Helfer.
Human Rights Watch warnt vor einem drohenden Völkermord in der Region Darfur: Die islamische RSF hat dort während des Bürgerkrieges in den 2000er-Jahren an nicht-arabischen Bevölkerungsgruppen schwerste Verbrechen begangen. Auch jetzt sollen Zehntausende Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe und Ethnie attackiert und getötet worden sein.
Der UN-Sicherheitsrat hat vergangene Woche ein Ende der Gewalt gefordert. Russland hat sich bei der Abstimmung enthalten. Moskau soll zwar die Paramilitärs stützen, aber auch mit den sudanesischen Streitkräften, die eigentlich Unterstützung von Ägypten, Saudi-Arabien und dem Iran bekommen, verhandeln. Für den Kreml ist der Sudan aus geopolitischer Sicht das Einfallstor nach Afrika; Ziel ist, an der Küste am Roten Meer Fuß zu fassen – und damit den Einfluss auf eine der weltweit am stärksten befahrenen Schifffahrtskorridore zu vertiefen.
Auch nicht ist zu erwarten, dass die die Kriegsparteien von der Resolution beeindrucken lassen. Der CARE-Länderdirektor appelliert: "Jeder der Einfluss auf die Konfliktparteien hat, sollte dafür sorgen, dass dieser Krieg endet."
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