Streit um Zuwanderer entscheidet EU-Wahl

Streit um Zuwanderer entscheidet EU-Wahl
Rechtspopulistische Parteien setzen nun voll auf das Thema Migration. Experte: "Es braut sich was zusammen in Europa."

Das Schweizer Votum gegen "Massenzuwanderung" ist Wasser auf die Mühlen von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache. Er will nun auch für Österreich eine Volksabstimmung über Zuwanderung.

Strache warnt die Regierung und die EU, das Schweizer Plebiszit ernst zu nehmen, und er will auch nicht, dass den Eidgenossen "Sanktionen" angedroht werden. "Die unbegrenzte Massenzuwanderung einbremsen zu wollen, ist sicher kein Debakel für die Schweiz", richtet Strache den Kritikern des Volksbegehrens aus. "Seit wann ist Massenzuwanderung ein europäischer Grundwert?", fragt er demonstrativ.

Rechtspopulismus

Streit um Zuwanderer entscheidet EU-Wahl
APA16383982 - 10012014 - WIEN - ÖSTERREICH: FPÖ Parteichef Heinz-Christian Strache während der Pressekonferenz anl. zum Thema "Präsentation der FP-Kandidaten für die EU- Wahl" am Freitag, 10. Jänner 2014, in Wien. APA-FOTO: HERBERT PFARRHOFER
"Es braut sich was zusammen in Europa. Fremdenfeindliche Tendenzen werden zunehmen, der Rechtspopulismus wird gestärkt", bestätigt Markus Jachtenfuchs, Professor für Europa- und internationale Politik an der Berliner Hertie School of Governance. "Es wird ein EU-Wahlkampf mit starker Forderung nach mehr direkter Demokratie. Der Ruf, das Volk zu befragen, wenn es bestimmten Absichten dient, wird lauter. Die Schweiz gilt jetzt als Erfolgsmodell", erklärt der Politologe dem KURIER.

Auf Österreich bezogen geht Wolfgang Bachmayer vom OGM-Meinungsforschungsinstitut davon aus, dass die FPÖ, die ohnedies ein Monopol auf die Themen Migration und Zuwanderung hat, im Wahlkampf mit direkter Demokratie punkten will. "Damit kann sie auch breitere Wählerschichten ansprechen." Das könnte umso eher gelingen, als die Österreicher sehr EU-kritisch sind, skizziert Bachmayer.

Zuspitzung

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epa04050981 A file picture made available on 01 February 2014 shows an election poster against the 'initiative against mass immigration' reading 'Excess harms - Stop mass immigration' in Winterthur, Switzerland, 08 January 2014. Swiss citizens on 09 February 2014 willl vote on an initiative against mass immigration brought forward by the rightwing Swiss Peopleís Party SVP, a proposal to reintroduce immigration quotas. EPA/STEFFEN SCHMIDT
Politologe Fritz Plasser ist überzeugt davon, dass es im Wahlkampf "eine härtere thematische Zuspitzung" auf Fragen der Migration, Zuwanderung und des freien Personenverkehrs geben wird. Quer durch alle Parteien könnten sich Bürger mit der FPÖ-Argumentation identifizieren.

Die Frage ist, welche Strategie etablierte pro-europäische Parteien gegen den populistischen Trend haben. Plasser nennt ein Rezept: "Den Ball aufnehmen, Probleme nicht kleinreden und die Schweiz nicht als Sonderfall hinstellen. Die Öffentlichkeit sieht das nicht so."

Der Universitätsprofessor empfiehlt, "nicht reflexhaft alle EU-Gesetze zu verteidigen. Das hört man von den politischen Eliten zu oft, das ist keine Kommunikationsstrategie." Es gelte aufzuzeigen, dass "Europa imstande ist, Alltagsprobleme zu lösen".

Einig sind sich alle Experten, dass rechtspopulistische Parteien bei den EU-Wahlen zulegen werden. Bis zu 27 Prozent populistische, rechtsradikale, EU-feindliche Abgeordnete könnte das neue Parlament zählen, veröffentlichte kürzlich die Forschungsabteilung der Deutschen Bank. Derzeit liegt der Anteil rechtspopulistischer und EU-ablehnender Abgeordneter bei rund acht Prozent von 766 Abgeordneten.

Furchtloser Karas

In Brüssel wandte sich am Dienstag der Spitzenkandidat der ÖVP, Othmar Karas strikt gegen Abstimmungen über Zuwanderung. Zwar sei damit zu rechnen, dass euroskeptische und nationalistische Parteien bei der Wahl zulegen würden, aber: "Ich fürchte mich nicht vor den Rechten", sagt Karas. "Sie werden stärker werden, aber sie werden nicht mehr Einfluss haben."

Sind die in der Schweiz lebenden Österreicher aufgeschreckt nach dem "Ja" der Eidgenossen zur Zuwanderungsbeschränkung? Immerhin 60.000 leben und arbeiten in der Schweiz (20.000 als Doppelstaatsbürger), 8100 pendeln ein- bis mehrmals pro Woche in die Schweiz. Die österreichische Botschaft in Bern bestätigt dem KURIER "ein paar Dutzend" Anfragen in den ersten beiden Tagen nach der Abstimmung – vor allem von den meist aus Vorarlberg stammenden Grenzgängern.

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Heinz Riedmann
Heinz Riedmann ist einer dieser Pendler, und er war nicht unter den Anrufern. Denn der 54-Jährige Vorarlberger ist gelassen: "Überhaupt nichts wird sich ändern." Auch wenn ihn die Abstimmung doch überrascht hat: "Die Stimmung in der Schweiz hat bis zuletzt kein Ja zur Zuwanderungsbegrenzung erwarten lassen", sagt Riedmann, der seit drei Jahren einen Schleifbetrieb für Industriemesser in St. Gallen besitzt. Doch als sich Ex-Aussenministerin Micheline Calmy-Rey von den Sozialdemokraten kurz vor dem Votum für einen EU-Beitritt der Schweiz einsetzte, sei die Stimmung offenbar zum Ja gekippt – mit dem denkbar knappen Vorsprung von 19.516 Stimmen. Auch die Schweizer Medien spekulieren, ob die Ex-Außenministerin der SVP-Initiative letztlich nicht zum Durchbruch verholfen hat.

Die Schweiz habe der EU das Zeichen gesetzt, "so geht’s nicht", sagt Riedmann. Aber er glaubt wie viele Pendler, die er kennt, dass die Schweizer letztlich so tolerant seien, dass es zu keiner Verschärfung der Situation für EU-Ausländer kommen werde. "Da gibt es ja eine Hintertür: Die Abstimmung ist nicht total bindend, sondern jetzt muss sich die Regierung damit befassen und verhandeln." Und das könnte auch so aussehen, dass Kontingente für Ausländer so hoch angesetzt werden, dass es die, die kommen wollen, nicht betrifft. "Die Wogen sind im Moment sehr hoch, aber die Zeit heilt alle Wunden."

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Ähnlich entspannt sieht es auch der Medienforscher Michael Latzer. Der Österreicher lehrt an der Uni Zürich und erlebt dort, aber auch in seinem privaten Alltag ein "weltoffenes Land. Das ist ja ein Teil des Erfolges der Schweiz." Gerade gegenüber Österreichern seien die Vorbehalte eher gering.

"Die Ängste in der Bevölkerung sind aber nicht differenziert, sondern richten sich pauschal gegen Ausländer." Und diese Ängste, betont Latzer, seien in den letzten Jahren zu wenig ernst genommen worden: "Die Zuwanderung hier war ja in den letzten zehn Jahren geballt, und das in allen Berufsgruppen und Bildungsschichten, egal ob Arbeiter, Wissenschaftler oder Manager." Über das Ergebnis herrsche zwar jetzt Betroffenheit, tatsächlich aber sei das nur der erste Schritt eines langen Prozesses, bei dem immer wieder das Volk befragt werde. Latzer setzt auf die Schweizer Tradition der Aufklärung, "hier legt man wirklich viel Wert auf Vermittlung von politischen Inhalten. Politische Entscheidungen werden hier in aller Breite diskutiert."

Weniger weltoffen als die Österreicher seien die Schweizer auf keinen Fall. "In Österreich würde man sich ja gar nicht trauen, den Weg einer solchen Volksbefragung zu gehen", schätzt Latzer die Haltung seiner Landsleute ziemlich kritisch ein, "und wenn, dann möchte ich gar nicht wissen, wie das ausgehen würde."

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