Stopp der Astra Zeneca-Impfungen: Was macht Deutschland?

Stopp der Astra Zeneca-Impfungen: Was macht Deutschland?
Gesundheitsminister Spahn lässt die Impfungen vorübergehend aussetzen und erntet dafür Kritik von Koalitionspartner SPD und der Opposition. In deutschen Medien wird dies als Vorsichtsmaßnahme oder Versagen bewertet.

Nach neuen Meldungen von Thrombosen der Hirnvenen bei Geimpften hatte die Bundesregierung die Astrazeneca-Impfungen vorsorglich ausgesetzt. Eine für Mittwochabend vorgesehene Telefonkonferenz der Kanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Ministerpräsidenten zum Impfstart in den Arztpraxen wird verschoben, bis eine Entscheidung der Europäischen Arzneimittelbehörde zum weiteren Umgang mit Astrazeneca vorliegt, wie ein Sprecher der Bundesregierung mitteilte. Der vorläufige Impfstopp bringt nicht nur Unsicherheit in die Planung - es gibt auch harsche Kritik an Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU), der zuvor schon mit einer Reihe an Pannen zu kämpfen hatte - von der Impfstoffbeschaffung bis hin zu Chaos bei Maskenkäufen und Schnelltests. Die überraschende Aussetzung der Astra-Zeneca-Impfungen, die er als "reine Vorsichtsmaßnahme" begründete, stieß etwa beim Koalitionspartner SPD auf Unverständnis.

"Ich halte das für einen Fehler", sagte SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach dem ZDF. Der Impfstopp werde das Vertrauen in Astrazeneca weiter reduzieren, "dabei gibt es keine neuen Daten, die den Stopp rechtfertigen", so Lauterbach weiter. Vor gravierenden Konsequenzen der Entscheidung warnte auf Twitter der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen. Die Aussetzung der Nutzung von Astrazeneca treffe nun mit dem "Hereinbrechen der dritten Welle" der Corona-Pandemie zusammen. Forderungen nach Spahns Entlassung, wie sie vom nordrhein-westfälischen SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Kutschaty kommt ("Spahn ist mit seinem Job überfordert"), wies Markus Söder, der Chef der bayerischen Schwesterpartei zurück. "Das würde jetzt nicht helfen, weil in der Kürze der Zeit kann keiner mit dem Erfahrungswert von Jens Spahn da auch einsteigen", sagte er.

Wie am Dienstag durch die Agentur Reuters bekannt wurde, hatte die deutsche Bundesregierung allerdings aus juristischen Gründen keine Alternative zum Aussetzen der Impfungen mit dem Corona‐Impfstoff. Denn nach der Mitteilung der deutschen Arzneimittelbehörde Paul‐Ehrlich‐Institut am Montag hätten ansonsten Körperverletzungs‐Klagen gedroht, da es sich um eine staatliche Impfkampagne handle.

So beurteilen deutsche Medien die Lage am Montagabend bzw. Dienstagfrüh:

Die Süddeutsche Zeitung bezeichnet die verordnete Impfpause als richtige Entscheidung. "Es ist richtig, dort, wo etwas passiert ist, eine Pause einzulegen und die einzelnen Fälle gründlich zu untersuchen. Gab es Vorerkrankungen bei den Betroffenen oder andere Risikofaktoren? Waren die Betroffenen oder einige von ihnen vielleicht mit dem Virus infiziert? Und nicht zuletzt sollten die Produktionschargen, aus denen der Impfstoff jeweils stammte, gründlich analysiert werden. Gab es vielleicht Verunreinigungen? Diese Fragen müssen schnellstmöglich und vollkommen transparent beantwortet werden. Sonst wird niemand mehr diesem Impfstoff vertrauen."

Bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ortet man vorschnelles Handeln: "Richtig wäre es gewesen, die Ergebnisse der Prüfung abzuwarten und bis dahin behutsam weiterzuimpfen. Erweist sich das Mittel dann als Gefahr, müsste es wohl weg. Erweist es sich als sicher, gab es nie ein Problem. Bei den möglichen Nebenwirkungen geht es um wenige Fälle. Noch kann niemand sagen, ob der Impfstoff in diesen seltenen Ausnahmen eine Gefahr ist. Sicher ist, dass das Coronavirus tötet."

Die Bild-Zeitung, das größte Boulevardblatt des Landes fordert wiederum die Klärung, "auf welcher Datengrundlage das Impfen mit AstraZeneca ausgesetzt wird. Ob es wirklich zu rechtfertigen ist, dass wegen sieben Thrombose-Vorfällen bei knapp 1,6 Mio. Geimpften nun Millionen Menschen noch länger auf ihre Impfung warten müssen". Zudem sieht das Blatt Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Pflicht und appelliert: "Frau Bundeskanzlerin, werden Sie Deutschlands Impfbeauftragte!"

Der Deutschlandfunk findet, dass der Wunsch, Risiken zu vermeiden selbst zur Gefahr wird. "Die Symptome der Thrombosen in den Hirnhäuten sind auffällig, starke Kopfschmerzen zum Beispiel. Die Ärzte können die meisten Patienten mit einer Blutverdünnung heilen. Die Gefahr ist also überschaubar. Nebenbei: Frauen, die die Pille nehmen, gehen ein deutlich höheres Thromboserisiko ein. Aber das Abwägen von Risiken ist wenig populär. Entweder werden sie verdrängt – siehe die Pille – oder es wird absolute Sicherheit gefordert – siehe Impfungen. Die aber gibt es nicht, kann es aber nicht geben. Während der mögliche und in jedem Fall sehr seltene Zusammenhang mit der Impfung untersucht wird, stecken sich mehr Menschen an, entwickeln einige von Ihnen COVID-19. Und dabei, das ist wirklich gut dokumentiert, kommt es häufig zu Thrombosen. So wird gerade der Wunsch, Risiken zu vermeiden, selbst zur Gefahr. Damit dürfte das Aussetzen der AstraZeneca-Impfung zu zusätzlichen Todesfällen führen."

Die Berliner Tageszeitung Tagesspiegel bezeichnet das Vertrauen in den Impfstoff wie in den Minister "längst angekränkelt" und sieht überhaupt die deutsche Bundesregierung kräftemäßig am Ende: "Jetzt bricht Schwarz-Rot, der noch amtierenden, aber zunehmend ausgezehrten Koalition, alles zusammen: Impfstoffbeschaffung gescheitert, Impfstrategie gescheitert, Millionen Dosen liegen herum und kommen erstmal nicht mehr zum Einsatz." Es brauche daher Lösungen und Aktionen, fordert das Blatt: "Wer nicht jetzt sofort mit einem neuen Plan kommt, sollte dann am besten sofort abdanken. Fürs bloße Einschließen braucht es diese Regierung nicht."

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