"Und wir sollen uns wegen Erdogan zurück in die Türkei schleichen..."
Vor Nihat (24) und Sinan (23) steht ein Teller mit Palatschinken, Oliven, Gurken, Tomaten und Schafskäse. Daneben ein Korb mit Fladenbrot. Die beiden jungen Männer waren Montagvormittag frühstücken im Kent, einem türkischen Restaurant in der Gudrunstraße in Wien-Favoriten. Nihat und Sinan sind österreichische Staatsbürger, beim Verfassungsreferendum der Türkei konnten sie deshalb nicht mitstimmen.
"Wenn doch, hätten wir mit Nein gestimmt", sagt Nihat. Damit wären sie in der Minderheit gewesen.
In Österreich erhielt das von Präsident Recep Tayyip Erdoğan initiierte Referendum 73,2 Prozent Zustimmung. Von den 108.561 Stimmberechtigten in Österreich votierten 38.215 für "Ja". Zur Wahl gingen nur knapp 51 Prozent.
In der Türkei waren "nur" 51,4 Prozent für die Einführung des Präsidialsystems. Sinan versucht eine Erklärung: "Den Türken in Österreich geht’s gut, die können sich alles leisten. Wenn’s in die Türkei auf Urlaub fahren, sehen sie, dass es den Menschen dort seit Erdoğan ein bisschen besser geht. Aber im Urlaub sieht man immer nur das Gute."
Sinan und Nihat erzählen, dass sie Kurden sind. Wie Erdoğan in der Türkei agiere, sei "nicht demokratisch" und erschwere auch ihr Leben in Österreich: "Wegen dem Erdoğan wollen die Österreicher, dass wir Türken uns zurück in die Türkei schleichen", meint Sinan.
Nihat hat Angst um den Job seiner Frau. "Sie ist Lehrerin und trägt Kopftuch. Wenn jetzt wegen Erdoğan in Österreich ein Kopftuchverbot kommt, hat meine Frau umsonst studiert."
Politik im Café
Ein paar hundert Meter weiter im Café Can sitzen am Montag Männer bei Zigaretten und Çay zusammen. Sie spielen Stress, ein Kartenspiel, und politisieren.
Mustafa Hakan (54) lebt seit 25 Jahren in Österreich und ist Orthopädieschuhmacher. "Ich hätte nie mit ‚Ja‘ gestimmt, das war keine demokratische Wahl", sagt er.
Außerdem sei er Anhänger Atatürks, da könne er nicht so einfach für Erdoğan sein. "Früher war die Türkei gut, heute ist sie schlecht", fasst Hakan zusammen.
Özcan (43), der an der Bar eine Marlboro raucht, sieht das ganz anders. "1999 bin ich mit meinem Auto in die Türkei gefahren. Als ich wieder in Wien war, war mein Auto hin, weil die Straßen in der Türkei so schlecht waren. 2012 bin ich wieder mit dem Auto in die Türkei gefahren, und da gab es überall Autobahnen. Der Türkei geht es immer besser." Das sei Erdoğan zu verdanken.
Özcan wundert es deshalb nicht, dass die Austro-Türken beim Referendum stärker mit Ja votierten als die Türken in der Türkei. "Wenn man im Ausland lebt, ist das wie eine Fußballmannschaft. Der Tormann sieht von außen auf das Geschehen. Die, die mittendrin sind, sehen meistens nicht so viel."
Nur Hüseyin Celik, der Chef des Cafés, beteiligt sich nicht an politischen Diskussionen in seinem Lokal. "Ich höre nur zu und sage Hallo, Grüß’ Sie und Auf Wiederschauen."
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