Auf den letzten Metern
Tauscht die SPD ihren Kanzlerkandidaten also auf den letzten Metern aus – so wie es mit Joe Biden geschah?
Denkbar ist das durchaus. Bild, in solchen Angelegenheiten stets gut informiert, berichtete von einem Treffen der SPD-Führung am Dienstagabend, wo die sogenannte K-Frage debattiert werden sollte. Dass dort ein Putsch geplant wird, ist zwar unwahrscheinlich, denn mit dabei sind fast ausschließlich Genossen, die alle Fragen zu Scholz bisher abmoderiert haben; etwa die Parteichefs Saskia Esken und Lars Klingbeil oder Generalsekretär Matthias Miersch. Doch allein, dass sie sich am Dienstag zusammensetzen, ist ein Alarmsignal – denn Scholz selbst sitzt da noch im Flieger.
Dazu kommt, dass die SPD keine Partei ist, die ihre Kanzler stürzt. Auch im deutschen Politbetrieb allgemein hat das keine Tradition – dass Angela Merkel Helmut Kohl per offenem Brief abmontierte, blieb eine Ausnahme in der Geschichte. Die Führung müsste Scholz also dazu drängen, aus eigenem Antrieb zurückzuziehen – genauso, wie die Demokraten das bei Biden taten.
Zweifel an Pistorius
Bisher zögerte die Parteiführung dabei, weil man Zweifel am Gegenkandidaten hatte: Zwar ist Boris Pistorius, der schon seit Monaten als einzige Alternative zu Scholz gilt, unter den Wählern der mit Abstand beliebteste Politiker, während Scholz zuletzt erstmals sogar auf dem allerletzten Platz landete – hinter AfD-Chef Tino Chrupalla. Allerdings glauben viele in der Partei, darunter maßgebliche Taktgeber wie Klingbeil, dass sein Portfolio nicht breit genug für eine Kanzlerkandidatur ist: Pistorius war Bürgermeister und danach Innenminister in Niedersachsen, ist also ein erfahrener Politiker, was innerdeutsche Belange angeht. Soziales oder Pensionen, also die Dinge, mit denen die SPD immer Wahlkämpfe macht, sind ihm aber fremd.
Auch seine Position zur Ukraine polarisiert massiv, vor allem innerhalb seiner eigenen Partei. Viele von Ex-Kanzler und Putin-Intimus Gerhard Schröder abwärts sehen durch seine rückhaltlose Unterstützung Kiews und die Rufe nach einer starken Aufrüstung Deutschlands die alte, friedensbewegte, linke Linie der Sozialdemokratie gefährdet. Auch SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich gehört zu dieser Gruppe – und er hat bei der K-Frage ein gewichtiges Wörtchen mitzureden.
Machtkalkül
Dass in den letzten Tagen die Wucht der Kritik so zugenommen hat, hat auch damit zu tun, dass viele im Bundestag um ihre Zukunft fürchten. Angesichts der Umfragewerte – die SPD liegt bei 15 Prozent, die Union bei bis zu 33 – könnte sich die Fraktion mit ihren 207 Abgeordneten halbieren. Der eigene Machterhalt ist es aber auch, der manch einflussreichen SPDler an Scholz festhalten lässt: In der Partei sagt man, dass Lars Klingbeil sich auch als möglicher Nachfolger von Scholz positioniert; immerhin war er als Generalsekretär und Wahlkampfstratege derjenige, der ihm 2021 den Höhenflug ins Kanzleramt bescherte. Tritt Scholz nach der Wahl ab, könnte Klingbeil in einer Großen Koalition mit der Union bis zum Vizekanzler aufsteigen.
Pistorius selbst scheint das ganze Treiben zu genießen, zumindest einstweilen. Von der Seitenlinie ließ er jetzt wissen, dass seine Kandidatur zumindest denkbar sei: "Man sollte nie irgendetwas ausschließen", sagte er am Montag. Und fügte lachend hinzu: "Das Einzige, was ich definitiv ausschließen kann, ist, dass ich noch Papst werde."
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