Merz attackiert Scholz nach Ampel-Aus: "Eines Bundeskanzlers unwürdig"
"Ich werde die Bürger nie vor die Wahl stellen: entweder Aufstockung der Bundeswehr oder sichere Renten. Das eine gegen das andere ausspielen, auf Kosten unserer Zukunft, auf Kosten unseres Zusammenhalts" – nicht mit Olaf Scholz. So die Botschaft der mit Spannung erwarteten Regierungserklärung des Kanzlers nach dem Ampel-Aus vor einer Woche. Jedoch war es viel mehr eine erste kämpferische Wahlkampfrede, in der Scholz die Positionen seiner SPD betonte – beziehungsweise seine eigenen.
"Es kann nicht sein, dass notwendige Mittel für die Modernisierung unserer Volkswirtschaft fehlen, dass wir damit bezahlen, dass es weniger Wachstum und Arbeitsplätze gibt. Dass die Unterstützung der Ukraine dazu führt, dass es zu Einschnitten bei Rente und Pflege kommt." Diese Entweder-oder-Fragen seien ein Konjunkturprogramm für Populisten und Extremisten. "Das schadet und zerreißt Deutschland."
Den "Trennungsgrund" Schuldenbremse, die maßgeblich für die Differenzen zwischen FDP, Grüne und SPD verantwortlich gewesen war, nahm Scholz nicht in den Mund. Sie dürfte die nächste Regierung genauso beschäftigen wie die Ampel.
Er selbst habe "bis zum letzten Tag Kompromisse angeboten", behauptete Scholz – Selbstkritik gab es keine. Dagegen hätte es Vorschläge gegeben "von Leuten, die sich nicht ausrechnen müssen, ob das Geld bis zum Ende des Monats reicht" – eine Spitze gegen die FDP. "Der Koalitionspartner war nicht dazu bereit. Das konnte und will ich diesem Land nicht zumuten."
"Ich, ich, ich", rief irgendwann ein Abgeordneter dazwischen – und unterstellte dem Kanzler Selbstbezogenheit.
Lindner auf Oppositionsbank
Das Ampel-Aus hatte auch Einfluss auf die Sitzordnung im Bundestag: FDP-Chef Christian Lindner, bislang als Finanzminister auf der Regierungsbank zwei Stühle neben dem Kanzler, saß dem Kanzler gegenüber in der ersten Reihe der FDP-Fraktion. Neben ihm: Unionschef Friedrich Merz, den Lindner zuletzt mit Hoffnung auf eine Koalition nach der Wahl öffentlich umgarnt hatte – sofern die FDP die Fünf-Prozent-Hürde bei der nächsten Wahl schafft.
Das Fehlen von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hingegen hatte nichts mit dem Ampel-Aus zu tun, sondern mit einer Flugzeugpanne in Portugal.
In gut 100 Tagen sind Neuwahlen geplant. Kanzler Olaf Scholz bestätigte in seiner Regierungserklärung am Mittwoch den Fahrplan: Er wird am 16. Dezember im Bundestag in Berlin die Vertrauensfrage stellen. Erhält der Kanzler wie erwartet keine Mehrheit, finden am 23. Februar Wahlen statt. Zuletzt wurde kritisiert, dass der Termin in die Ferien von Sachsen und dem Saarland falle, dennoch wird am Termin festgehalten.
In der aktuellen Forsa-Umfrage kommen CDU/CSU auf 33 %, die AfD auf 17 %, SPD auf 16 %, Grüne auf 11 %, FDP auf 4 %. 2021 holte die SPD 25,7 %, CDU/CSU 24,1 %, Grüne 14,8 %, FDP 11,5 %, AfD 10,3 %.
In seiner halbstündigen Rede drängte Scholz die Union, bei Gesetzesentwürfen, die noch zur Abstimmung stehen, "parteiübergreifend" und "zum Wohl des Landes bis zur Wahl zusammenarbeiten": Er pochte auf Wachstumsinitiativen, das Gesetz zum Ausgleich der kalten Progression, das Scholz ab 1. Jänner 2025 beschlossen sehen will, und die Erhöhung des Kindergeldes.
"Lassen Sie uns da, wo wir einig sind, auch einig handeln", so Scholz, der sich besonders der Union gegenüber versöhnlich gab, bereits mit Blick auf mögliche Koalitionsverhandlungen nach den Neuwahlen. In aktuellen Umfragen ist die Rückkehr einer "GroKo" von Schwarz-Rot am wahrscheinlichsten.
Jedoch dürfte sich sein Appell auch an die eigene Partei richten: Mehrere SPD-Politiker wünschen sich öffentlich Verteidigungsminister Boris Pistorius an der SPD-Spitze, erhoffen sich mit ihm bessere Chancen bei Neuwahlen. In einer Forsa-Umfrage sprachen sich 16 Prozent der Befragten für Scholz als Kanzler aus, 39 Prozent hingegen für Pistorius.
Merz: Scholz "eines Bundeskanzlers unwürdig"
SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich betonte im Bundestag allerdings die Unterstützung für Scholz. Mützenich hatte zuletzt eng mit Oppositionsführer Merz zusammengearbeitet, um den Kanzler zu einem früheren Stellen der Vertrauensfrage zu drängen. Für die "konstruktive Zusammenarbeit" bedankte sich Merz bei Mützenich. Gegenüber Scholz zeigte er sich jedoch angriffslustig.
Seine Erklärung zum Ampel-Aus sei "eines Bundeskanzlers unwürdig" gewesen, so Merz, Scholz‘ Umgang mit der Vertrauensfrage "inakzeptabel". Er warf Scholz Realitätsverlust vor: "Das, was Sie hier vorgetragen haben, Herr Bundeskanzler, ist nicht von dieser Welt"; und zur Spaltung der Gesellschaft: "Sie sind derjenige, der für diese Kontroversen und für diese Spaltung in Deutschland verantwortlich ist. So kann man ein Land einfach nicht regieren."
Trotzdem schloss Merz gemeinsame Abstimmungen zu Gesetzesentwürfen in den nächsten Wochen nicht aus: Allerdings nur, wenn diese vor einer Abstimmung im Bundestag mit der CDU besprochen werden, und nur bei Einigkeit in den Bundestag kommen soll.
Lindner: "Manchmal ist Entlassung auch Befreiung"
Auch Grünen-Außenministerin Annalena Baerbock legte in ihrer Rede die Pfeiler für den Wahlkampf, verwendete Wohlfühlworte wie "Zusammenhalt", "Anpacken" und "Solidarität" und verteidigte den Versuch der Ampel-Regierung: "Populistisch draufhauen auf andere, das kann jeder", sagt die Außenministerin.
Der von Scholz geschasste Lindner eröffnete seine Rede mit "manchmal ist eine Entlassung auch eine Befreiung", es ging weiter mit "mehr Eigenverantwortung", "mehr Unternehmergeist", "mehr Offenheit für Technologie und realistisch erreichbare Ziele". Und an die Sozialdemokarten gerichtet: "Ist es unsozial, darauf zu bestehen, dass der, der mehr arbeitet, mehr hat? Entspricht das nicht Gerechtigkeit?"
Wenn nicht schon vergangene Woche, dann hat der Wahlkampf bei dieser Bundestagssitzung nun offiziell begonnen.
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