Spanien: Vom Feminismus-Vorreiter wieder zurück zum Macho-Land?
Neues Abtreibungsgesetz, Krankenstand bei Regelschmerzen: Spanien galt als Vorreiter in Sachen Frauenrechte. Vor den Parlamentswahlen im Juli setzen rechte Parteien auf Anti-Feminismus.
Eine Hand wirft ein zerknülltes Stück Papier in den Müll. Mit in die Tonne fallen die Pride-Flagge, die „UN-Agenda 2030“ und ein feministisches Kampfsymbol. „Entscheide, was wichtig ist“, steht auf der riesigen Plakatwand, die Vox, Spaniens rechtsextreme Partei, am Wochenende im Zentrum von Madrid installieren ließ.
Was wichtig ist, das hat Vox längst für sich entschieden. Die Partei möchte nach der vorgezogenen Parlamentswahl am 23. Juli gemeinsam mit der konservativen Volkspartei Partido Popular (PP) das südeuropäische Land regieren. Im Wahlkampf setzen die Ultrarechten dafür auf einen erzkonservativen, ausländerfeindlichen und zunehmend antifeministischen Diskurs. In Umfragen liegen sie damit vor dem linken Wahlbündnis „Sumar“ auf Platz drei.
Droht Spanien seinen Ruf als Nation der Frauenrechte zu verlieren?
Wie andere rechte Parteien in Europa fordert Vox unter anderem die Abschaffung spezifischer Gesetze zu Gewalt gegen Frauen, lehnt Abtreibung ab oder spricht von einer „Gender-Ideologie“. In Wahlprogrammen und Koalitionsvereinbarungen ist statt von Gewalt gegen Frauen von innerfamiliärer Gewalt die Rede. Mit Sprache wird versucht, das Problem unsichtbar zu machen.
Subtil ist Vox allerdings selten. So steht der neu gewählte Parlamentspräsident der Balearen, Gabriel Le Senne, derzeit wegen seiner polemischen Tweets in der Kritik. Frauen seien streitsüchtiger, "weil sie keinen Penis haben", meinte er etwa. Zuletzt sorgte die Partei auch in der ostspanischen Region Valencia für Aufsehen, wo ein führender Vertreter öffentlich bestritt, dass es „geschlechtsspezifische Gewalt“ von Männern gegen Frauen gebe.
Der mediale Aufschrei war groß. Die Parteiführung von Vox stellte sich hinter ihren Abgeordneten. In einer Erklärung kündigte sie lediglich an, die "ideologischen" Stadträte abzuschaffen. In vielen spanischen Städten, in denen nach den Regionalwahlen nun Vox und PP gemeinsam regieren, wurden die Gleichstellungsbüros bereits geschlossen - unter anderem in Valencia.
Seit 2003 wurden über 1.200 Frauen von ihren Partnern oder Ex-Partnern in Spanien ermordet.
Ende 2022 kam es zu einer starken Zunahme der Gewalt an Frauen in Spanien. Die Staatsanwälte können nun auch dann vorsorgliche Maßnahmen zum Schutz der Opfer häuslicher Gewalt beantragen, wenn keine Anzeige erstattet wurde, aber ausreichend Indizien für eine Gefährdung vorliegen.
In das antifeministische Lied von Vox stimmt nun auch die Partido Popular ein, die ohne die Rechtspopulisten kaum regieren kann. Zwar widersprach der PP-Vorsitzende Alberto Núñez Feijóo am Montag dem valencianischen Abgeordneten und betonte, dass der Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt eine Priorität bleibe. Kurz zuvor hatte Feijóo, der aktuell als aussichtsreichster Kandidat für die bevorstehenden Parlamentswahlen gilt, jedoch bekannt gegeben, bei einem Wahlsieg das Gleichbehandlungsministerium abschaffen zu wollen.
Auch das umstrittene Transgender-Gesetz, das Menschen ab 16 Jahren eine bedingungslose Geschlechtsumwandlung erlaubt, will Feijóo abschaffen.
Die feministische Politik spaltet das Land
Bereits im Wahljahr 2019 positionierte sich Vox klar antifeministisch. Massenproteste und eine weibliche Mehrheit im Kabinett machten die spanische Frauenbewegung damals so stark wie nie zuvor. Was diesmal der extremen Rechten in die Hände spielt: Die feministische Politik von Spaniens Gleichstellungsministerin Irene Montero, die mit noch weitreichenderen Reformen die Sozialisten links überholen wollte, hat das Land tief gespalten.
Neben dem Transgender-Gesetz hat die Ministerin unter anderem ein neues Abtreibungsgesetz, die Krankschreibung bei Menstruationsbeschwerden und ein neues Sexualstrafrecht („Nur Ja heißt Ja“) auf den Weg gebracht. Vor allem im Ausland erhielt Montero dafür viel Aufmerksamkeit.
Gerade bei jüngeren Wählerinnen und Wählern setzt Vox auf das Feindbild Feminismus. Laut einer Studie des Jugendforschungsinstituts FAD Reina Sofia leugnen 20 Prozent der 15- bis 29-Jährigen, dass geschlechtsspezifische Gewalt heute existiert und halten sie für eine "ideologische Erfindung". Im Jahr 2019 lag dieser Prozentsatz noch bei 12 Prozent.
Im eigenen Land gingen Monteros feministische Forderungen vielen zu weit. Insbesondere das neue Sexualstrafrecht, das paradoxerweise zur vorzeitigen Haftentlassung von Straftätern führte, sorgte für heftige Debatten. Es löste eine Koalitionskrise aus. Die Folgen bekam die Regierung bei den Regional- und Kommunalwahlen im Mai zu spüren. Die sozialistische PSOE von Ministerpräsident Pedro Sánchez und die Podemos-Partei von Montero erlitten eine schwere Niederlage. Sánchez rief Neuwahlen aus.
Um die rechte Welle - spanische Medien sprachen nach den Wahlsiegen von PP und Vox von einem "Tsunami" - zu stoppen, hat sich Monteros’ Podemos entschlossen, dem linken Parteienbündnis "Sumar“ von Arbeitsministerin Yolanda Díaz beizutreten. Doch dort ist für Montero, mit 35 Jahren jüngstes Kabinettsmitglied, kein Platz mehr. Zu viele Feinde hat sich die Ministerin auch im progressiven Lager gemacht.
Unter den Anhängern und Anhängerinnen Monteros war die Bestürzung über das Veto von "Sumar" groß.
Und was sagt Pedro Sánchez?
Pedro Sánchez, der auf eine starke Linke angewiesen ist, um eine Rechts/Rechtsaußen-Politik zu verhindern, wurde am Montag gefragt, ob er „stolz“ auf die Leitung des Gleichstellungsministeriums unter Montero sei.
Es habe „Diskrepanzen“ gegeben, räumte er ein. Insgesamt hob Sánchez aber die Fortschritte hervor, die die Regierung in Sachen Frauenrechte in den vergangenen Jahren gemacht habe. Bei den Wahlen am 23. Juli wird sich entscheiden, wie es um Spaniens Vorreiterrolle in Sachen Frauenrechte bestellt ist. Im Extremfall könnte ein Erfolg von Vox so manchen feministischen Erfolg rückgängig machen.
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