Spanien: Die fremden Nachbarn aus Nordafrika

In einem Zuwandererstädtchen bei Barcelona fürchtet man den Stimmungswandel nach dem Terror.

Nur wenige Stunden nach dem Terroranschlag in der Innenstadt von Barcelona sei der Hass umgeschlagen: So schildert ein spanisches Ehepaar jene Szene, die sich am Donnerstagabend auf offener Straße zutrug. Eine Frau mit Kopftuch kam gerade aus einem Supermarkt, die Kinder an der Hand, als ein Mann sie anschrie: "Geht doch endlich dorthin, wo ihr hergekommen seid! Dann hätten wir all die Probleme gar nicht."


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Die Sätze fielen nicht auf den Ramblas in Barcelona, wo am Donnerstagabend ein Gemisch aus Trauer, Wut und Angst über der Flaniermeile zu spüren gewesen war. Die bezeichnende Szene trug sich in Terrassa zu.

Islamisten-Hotspot

Die charmante Kleinstadt, 40 Autominuten entfernt von Barcelonas Zentrum, hat ein Problem: Laut offizieller Polizeistatistik radikalisieren sich hier mehr Muslime – gemessen an der Bevölkerungszahl – als etwa in der Zwei-Millionen-Metropole Barcelona. Nicht erst seit dem Terrorakt vom Donnerstag gilt Katalonien als einer der europäischen Hotspots der radikalen Dschihadisten-Szene: Im Zeitraum von 2012 bis 2016 trug sich in Spanien jede dritte Verhaftung mit terroristischem Hintergrund in Katalonien zu. Im Großraum von Barcelona nahm die Polizei im selben Zeitraum 62 Personen fest. Während zwanzig Festnahmen direkt im Stadtgebiet der Mittelmeermetropole über die Bühne gingen, kommt das lediglich 216.000 Einwohner zählende Terrassa auf acht Inhaftierungen. Wie lebt es sich in dieser Stadt? Wie gehen Spanier, Katalanen und Marokkaner miteinander um in Terrassa?

Ein Ortsbesuch zwei Tage nach dem Terror von Barcelona. Im verkehrsberuhigtem Zentrum von Terrassa sitzen die Menschen am Samstagmittag noch beim späten Kaffee oder schon beim ersten Bier. Die kleinen Boutiquen in den engen, aufgeräumten Gassen locken mit Sommerrabatten, im Delikatessengeschäft werden 100 Gramm iberischer Schinken um 25 Euro angeboten. Eine Problemgegend stellt man sich anders vor.

Auch nach dem fünfzehnminütigen Fußmarsch Richtung Norden steht man in keinem südeuropäischem Elendsviertel, wenngleich sich nicht mehr viele Katalanen hierher verirren. Einmal die breite Hauptstraße überquert und in den Schluchten aus hohen, renovierungsbedürftigen Wohnhäusern, betritt man eine andere Welt.

Auf wenigen Häuserblöcken hat sich hier die nordafrikanische Bevölkerung Terrassas zusammengefunden. Geschäfte mit spanischen oder katalanischen Schildern sind verschwunden. Stattdessen kann man in der Bar Ali Tee trinken oder im Basar Dubai arabische Kleidung erstehen.

Fremde Nachbarn

Der tunesische Inhaber einer Fleischerei erklärt, seine Kunden seien vorwiegend Muslime. "Die Spanier bleiben auch lieber unter sich", sagt er und fügt mit einem Schmunzeln an: "Und die Katalanen erst recht." Im benachbarten Obstgeschäft kauft eine der wenigen Spanierinnen ein, "weil die Waren gut und sehr billig sind". Kontakt mit den neuen Mitbewohnern suche sie nicht: "Kein Interesse."

In diesem Spannungsfeld können selbst die besten Integrationsbemühungen nicht verfangen. Das mitunter anregende und belebende Flair mehrerer Kulturen auf engem Raum, von dem etwa das einst verrufene und mittlerweile kultige Viertel El Raval im Herzen Barcelonas profitiert hat, sucht man in Terrassa vergebens. Multi-Kulti ist hier Realität und gleichzeitig gescheitert.

Die Migranten fürchten nach den Anschlägen einen raueren Alltag. Arbeitssuche oder die Verlängerung eines Mietvertrags – all das dürfte nicht leichter werden in Katalonien. Das landesweite Gesetz, wonach legal in Spanien lebende Ausländer Familienangehörige für einen bestimmten Zeitraum ins Land holen dürfen, wird bereits zur Diskussion gestellt. "Eine faule Tomate wird gefunden und gleich wird der gesamte Gemüsekorb weggeworfen", wird ein in Raval lebender Muslim in der Zeitung La Vanguardia zitiert.

So sieht es auch der Fleischer in Terrassa. "Es gibt schlechtere Regionen zum Leben", sagt er. Das lässt auch die spanische Kundin im Obstgeschäft so gelten.

Und auf einmal herrscht doch noch seltene Einigkeit.


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ORF-Reporter Manola berichtet aus Barcelona

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