Didier Eribon über Emmanuel Macron: Er ist nicht mein Präsident

Präsident der Reichen? Emmanuel Macron
Didier Eribon, der Autor des Bestsellers "Rückkehr nach Reims", erklärt, warum er dem französischen Staatschef zur Eröffnung der Frankfurter Buchmesse nicht zuhören will.

Michel Houellebecq, Yasmina Khadra, Yasmina Reza, Nancy Huston und Amélie Nothomb: Große Namen, preisgekrönte Schriftsteller. Sie gehören zu den mehr als 130 Autorinnen und Autoren, die das Gastland Frankreich für diesjährige Frankfurter Buchmesse angekündigt hat. Sie sollen für die französische Literatur werben. "Francfort en francais" heißt der Slogan, "Frankfurt in Französisch".

Wenn der französische Präsident Emmanuel Macron gemeinsam mit Deutschlands Bundeskanzlerin Angela Merkel die Messe am Dienstabend eröffnet, wird ein Ehrengast allerdings fehlen. Der französische Soziologe und Schriftsteller Didier Eribon hat sich trotz "goldener Eintrittskarte" entschieden, nicht teilzunehmen. In einem Kommentar auf Facebook begründet der Autor des Bestesellers "Rückkehr nach Reims" seinen Entschluss mit Emmanuel Macron. Er könne den französischen Staatschef nicht beim "Schwadronieren über Europa und dessen Kultur zuhören, wo er - und Merkel - doch im selben Moment die Bedingungen für kulturelles Schaffen in Europa zerstören. Es ist für mich undenkbar, einer Zeremonie beizuwohnen, in deren Verlauf Macron den französischen Pavillon in Frankfurt am Main eröffnet, während jede seiner Reformen alles das bedroht, was zum Fundament einer europäischen Kultur gehört."

Vermögenssteuer abschaffen

Didier Eribon ist ein scharfer Kritiker von Emmanuel Macron. Die jüngsten Reformen am Arbeitsmarkt, wonach die Rolle von Branchen- und Betriebsvereinbarungen gestärkt und der Kündigungsschutz teilweise gelockert wird, bezeichnet der Intellektuelle als "karikaturhafteste Variante der ökonomisch neoliberalen Ideologie", um die Abhängigkeit der Arbeiter zum Arbeitnehmer zu stärken. Eribon spricht auch von einer "auf den Kopf gstellten Umverteilung: Nimm von den Armen und gib es den Reichen."

Kurz nach seiner Angelobung hat Macron angekündigt, die seit 1982 existierende Vermögenssteuer in Frankreich abzuschaffen. Dadurch will er Kapitalvermögen entlasten und erreichen, dass es in die Wirtschaft investiert wird; der unproduktive Immobilienbesitz bliebe hingegen hoch besteuert. Nach Berechnungen des Rechnungshofes könnten somit Tausende Großverdiener in ihr Heimatland zurückkehren und Geld in die Staatskassen spülen. Politisch ist die Abschaffung aber gewagt, da die Vermögenssteuer einen hohen Symbolwert hat: égalité (Gleihheit). Von Gegner wird Macron deshalb auch "Präsident der Reichen" genannt. Didier Eribon schreibt dazu: "Um diesen Geldfluss in Richtung der Reichsten zu finanzieren, findet man das nötige Geld bei den Bedürftigsten. Welch ekelhafter Hohn!"

Didier Eribon über Emmanuel Macron: Er ist nicht mein Präsident
FILE PHOTO - Demonstrators hold placards with portraits of French President Emmanuel Macron and the slogan "To clear out" during a national strike and protest against the government's labour reforms in Paris, France, September 12, 2017. Picture taken September 12, 2017. REUTERS/Charles Platiau/File Photo

Eribon: Macrons Abneigung

In einem Absatz kritisiert der Soziologe Macrons Auftritt in der Nähe einer Fabrig, deren entlassungsbedrohte Arbeiter streikten. Der Präsident sagte, dass sie besser daran täten, eine Arbeit zu suchen, als einen "Schlamassel" anzurichten. Macron werde nicht müde, schreibt Eribon, "seine Verachtung gegenüber der Arbeiterklasse zu zeigen - gegenüber jenen, 'die nichts sind'. Und er beschimpft diejenigen, die gegen seine Politik protestieren, wie Gewerkschafter oder Demonstranten, als 'Nichtstuer'. All das erregt in mir ein tiefes Gefühl der Abscheu, der Wut und der Revolte."

Wer die Eribons "Rückkehr nach Reims" gelesen hat, weiß um sein ambivalents Verhältnis zur französischen Arbeitklasse. Aufgewachsen ist der Schriftsteller in einer typischen Arbeiterfamilie im nordfranzösischen Reims. Die Mutter ist Putzfrau, der Vater Fabrikarbeiter. Eribon distanziert sich von seiner Familie, sie passt nicht in sein Leben. Er, ein schwuler Akademiker, sie, Arbeiter, die gegen Migranten wettern und statt links nun Rechtspopulisten wählen. 35 Jahre hatte er keinen Kontakt zu seinem Herkunftsmilieu. Erst als ihn die Nachricht vom Tod seines Vaters erreicht, kehrte er nach Reims zurück. Sein Zerwürfnis und seine Versöhnung mit der "Klasse", wie Eribon mehrmals betont, gehören zu den Schwerpunkten seiner Werke.

Didier Eribon über Emmanuel Macron: Er ist nicht mein Präsident
French President Emmanuel Macron is seen prior to his meeting with Iraqi Prime minister Haider Al-Abadi at the Elysee Palace in Paris, France, October 5, 2017. REUTERS/Ludovic Marin/Pool

"Nicht mein Präsident"

Charakteristisch für Macrons Präsidentschaft sei die "Mischung aus einer ungezügelten neoliberale Wirtschaft und einer repressiven Politik. Diese verdankt er auch linken Wählern, die zweifelsohne keine andere Wahl hatten, aber sich sicher auch nicht gewünscht haben, was sich gerade ereignet. Denn nach ihrer Meinung werden sie nicht gefragt, dafür aber beschimpft, wenn sie die Freiheit besitzen, sie dennoch zu äußern. Diese Politik ist eine große Bedrohung für Kultur, Freiheit und die Zivilisation."

Am Ende seiner öffentlichen Kritik beschreibt Eribon den französischen Präsidenten als "größenwahnsinnig" und "narzisstisch", als einen Präsident, "der andere Menschen beleidigt und verachtet". Macron würde es genießen, in "schönen Gesprächsrunden zu großen, mystisch-lyrischen Höhenflügen" anzusetzen. In Wahrheit zeige sich Frankreich aber düster und beunruhigend: "Zerstörung der Arbeitnehmerrechte und des Arbeitnehmerschutzes, sozialer Abstieg, Abbau des öffentlichen Sektors, allgemeine Verarmung, Prekarisierung, Unterdrückung und Polizeigewalt", schreibt der Soziologe.

"Und da möchte man, dass ich komme, um ihm dabei zuzusehen? Ihm zuzuhören? Ihm am Ende gar noch zu applaudieren? Sicher nicht. Nicht mein Präsident!"

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