Song Contest: Party, Proteste und tolle Bühneneffekte
Mehr Party geht auch in Tel Aviv nicht. 50.000 Menschen aus aller Welt sahen am Dienstag das erste Halbfinale des Europäischen Song Contest auf der Partymeile im ESC-Village am Strand gleich auf mehreren Großbildwänden. Soll heißen: Israel gehört zu Europa.
Vor nicht einmal zwei Wochen schlugen über 700 Raketen keine 30 Kilometer südlich von Tel Aviv ein. Abgefeuert von der militant islamistischen Hamas-Miliz, die im Gazastreifen herrscht. Die schießt zwar nicht mehr, hat aber zu neuen Protesten am Sperrzaun aufgerufen. Mittwoch ist der Jahrestag des Krieges von 1948, durch den über 100.000 Palästinenser ihre Heimat verloren. Soll heißen: Europa darf die Palästinenser nicht einfach vergessen. Mehr Nahost geht nicht.
„Holland hat diesmal sehr gute Chancen, deshalb bin ich trotz Raketen angereist“, schreit Kees gegen die Lautsprecher an. Schon drei Mal ist der 32-Jährige aus Utrecht beim Song Contest als Zuschauer dabei, „aber was hier an Party abgeht, stellt alles in den Schatten.“ Jubel braust auf, als angekündigt wird, dass auch Madonna am Samstag beim Finale singen wird. Kees jubelt mit: „Madonna als Bonus!“
Zähe Verhandlung
Obwohl der israelisch-kanadische Milliardär Sylvan Adams die zwei Millionen für Madonnas Auftritt spendet, wurde zuvor lange und zäh verhandelt. Über die Rechte. Die bleiben bei den veranstaltenden Sendern der EBU (European Broadcasting Union). Madonna, eine Promi-Schülerin des verstorbenen Kabbala-Rabbiners Philip Berg, war mehrfach zu Konzerten und inkognito im Lande. Auf Boykott-Aufrufe gegen Israel reagiert sie sauer: „Ich werde niemals aufhören, meine Musik zu machen, nur um mich irgendeiner politischen Agenda anzupassen.“
Alles ist politisch. Wohl deshalb schickt Premier Benjamin Netanjahu seine Frau Sarah allein. Als alter Medien-Fuchs weiß er, wie sehr sein Erscheinen polarisiert – und weniger oft besser ist.
Auch in Israel selbst war der Song Contest politisch aufgeladen. Zunächst auch einfach zu teuer für das gerade gesund geschrumpfte, sprich mittellose Kan-TV. Als doch die Gelder kamen, war Miri Regev, die chronisch beleidigte Kultur-Ministerin Israels wieder einmal aufgebracht. Jerusalem, gerade von Donald Trump als Hauptstadt anerkannt, wurde von der EBU „aus technischen Gründen“ als Austragungsort abgelehnt. Regev: „Jerusalem oder gar nicht.“ Sie sagte ihre Teilnahme ab, war aber nicht einmal offiziell eingeladen.
Medienbelang
Der ESC fällt in Israel nicht unter Kultur, sondern läuft unter Medien und die haben ein anderes Ministerium. Jetzt will Regev doch neben Sarah sitzen, obwohl der Einleitungsclip mit Israels Heiligen Stätten die im besetzten Westjordanland nicht zeigt.
Regev war auch gegen Lucy Ayoub im Moderatoren-Quartett. Eine Araberin war der Kulturministerin nicht repräsentativ genug. Obwohl die nicht wehrpflichtige Ayoub in der Armee diente.
Bekannte Paenda
Komplizierte Reibereien, eben Politik, die am Tel Aviver Strand nicht zählen. Österreich und Paenda würden, ginge es nach Bekanntheitsgrad, vorne liegen. „Die mit den blauen Haaren“, kennt auch Ilan („bald 50“), ein ausgesprochener ESC-Experte aus Haifa in Nordisrael. Vier Mal siegte Israel, erinnert er. „Muss uns erst einmal jemand nachmachen.“ Aber Paenda? „Die singt ja nett, aber wo ist das Lied?“
Ilan kennt noch einen Österreicher beim ESC und der hat schon gewonnen. Die riesige Bühne in der Messehalle ist ein Design von Florian Wieder. „So was hat die Welt noch nicht gesehen.“
Ilan ist – wie viele ESC-Fans – ein Verschwörungstheoretiker, der sich hinter den Kulissen der Punkteverteilung auskennt. Alle Skandinavier stecken unter einer Decke. Auch Franzosen und Schweizer schieben sich die Punkte zu, ohne sich die Lieder anzuhören. Österreicher und Deutsche nicht immer, aber doch. Armes Israel. „Wir gewinnen nur, wenn es nicht anders geht.“
Und Ilan weiß auch schon, wer Sieger wird. Nicht genau, aber fast: „Die EBU tut sich schwer mit Israel als Austragungsort. Die sorgen jetzt für Ausgleich. Darauf habe ich gewettet, ganz sicher. Entweder Italien oder Frankreich. Also entweder Mahmood oder Bilal Hassan.“ Ilan ist für Bilal Hassan. „So schmächtig, aber mit Mut.“ Claude, der schon einige Zeit interessiert lauscht, stimmt begeistert zu.
Vor ein paar Jahren wanderte er aus Frankreich ein und seinem Hebräisch ist es anzuhören: „Bilals Sieg wäre super. Frankreich hat schon so lange nicht mehr gewonnen. Und Islamophobe wie Homophobe wären sauer...“
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