Slowakei: Revolte gegen die Freunderlwirtschaft

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Nach dem Mafia-Mord an einem Enthüllungsreporter erlebt das Land die größten Proteste seit 1989.

Die Universitäten im ganzen Land haben ihren Studenten freigegeben, die Theater veröffentlichen Erklärungen, und selbst die katholische Kirche stellt sich hinter die Protestbewegung. Die Slowakei erlebt in diesen Tagen eine Wiederkehr der Stimmung der Samtenen Revolution von 1989 – und so groß wie damals wurden auch die Demonstrationen, die Freitagabend in 48 Städten in der Slowakei stattfanden. Zur größten davon, im Zentrum der Hauptstadt Bratislava, strömten schon in den Nachmittagsstunden Zehntausende Menschen.

Erstmals seit der Wende war auch wieder das Geklingel Hunderter Schlüsselbunde in den Straßen zu hören, jener unverkennbare Lärm, mit dem man damals die kommunistische Regierung quasi zur Tür hinausklingelte.

Aufgestaute Wut

Der Mord an dem Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak, 27, der über die Machenschaften der italienischen Mafia in der Slowakei recherchiert hatte, hat das Land in den politischen Ausnahmezustand versetzt. Schließlich führen die Verbindungen der mutmaßlichen Mafia-Drahtzieher, die in der Slowakei angeblich großflächigen Betrug mit EU-Förderungen betrieben haben, zur Spitze der Regierung von Premier Robert Fico.

Doch dieser jüngste Skandal ist nur "der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt", erklärt einer der Aktivisten auf dem Weg zur Kundgebung in Bratislava, "es reicht längst, diese Regierung hat zu viele Korruptionsaffären, zu viele Machenschaften am Hals, und bisher ist bei den Ermittlungen nie etwas herausgekommen."Tatsächlich ist Ficos Regierung unter politischem Druck wie selten zuvor. Ein Minister und mehrere enge Vertraute des Regierungschefs, darunter auch seine mutmaßliche Geliebte Maria Troskova, sind bereits abgetreten.

Doch diese Bauernopfer haben die Wut der Bürger nicht besänftigt. Der nächste, der voraussichtlich am Montag gehen muss, ist Innenminister Robert Kalinak. Er gilt als Schlüsselfigur, nicht nur im aktuellen Skandal, sondern auch in zahlreichen anderen undurchsichtigen Geschäftsbeziehungen rund um den Premier. So gehört die Luxuswohnung, in der Fico residiert, offiziell einem wegen Steuerbetrugs bereits verurteilten Geschäftsmann und Du-Freund Kalinaks. Der Innenminister gilt als die "Feuermauer" des Regierungschefs, wie ein politischer Insider erläutert, und sei so bisher immer unantastbar gewesen. Dass er nun voraussichtlich fällt, demonstriert, wie tief die politische Krise tatsächlich bereits ist.

Präsident gegen Premier

Staatschef Andrej Kiska hat sich offen gegen den Premier gestellt und Neuwahlen oder eine umfassende Umbildung der Regierung gefordert. Ein am Freitag einberufenes Krisentreffen zwischen dem Präsidenten und dem Premier auf der Burg von Bratislava blieb ergebnislos. Man konnte sich auf keine gemeinsame Erklärung einigen. Den Zorn der Menschen dürfte das nur noch weiter anstacheln.

Slowakei: Revolte gegen die Freunderlwirtschaft
Slovakia's President Andrej Kiska (R) and Slovakia's Prime Minister Robert Fico react after a meeting at the Bratislava castle, Bratislava Slovakia, March 9, 2018. REUTERS/Radovan Stoklasa

"Die Lage ist extrem angespannt", analysiert der Politologe Grigorij Meseznikov gegenüber dem KURIER, "Fico spielt ein riskantes Spiel um sein politisches Überleben". Dafür ist der Premier, der schon aus den vergangenen Parlamentswahlen politisch geschwächt hervorging, offensichtlich bereit, jede Waffe einzusetzen. So beschuldigte er zuletzt den Staatspräsidenten offen, mit dem ungarisch-stämmigen US-Milliardär George Soros unter einer Decke zu stecken. Jener Mann also, den auch Ungarns Premier Viktor Orbán zu seinem Lieblingsfeindbild gemacht hat. Für den Politologen nur noch ein zynisches Spiel mit Feindbildern, ohne jeden Bezug zu Realität. "Der Premier und seine Freunde verteidigen nur ihre Privilegien. Sie kleben an ihren Sesseln."

Als „Vorsitzender“ der Region Bratislava verwaltet Juraj Droba die westlichste und wohlhabendste Region des Landes. Der in den USA ausgebildete Manager ist führendes Mitglied der liberalen Partei SAS und vertritt so die stärkste Oppositionspartei der Slowakei.

KURIER: Wie beurteilen Sie die aktuelle Krise?

Juraj Droba: Die Situation ist dramatisch. Premier Robert Fico und seine politischen Verbündeten sind einfach einen Schritt zu weit gegangen in ihrer Freunderlwirtschaft. Der aktuelle Skandal zeigt wieder auf, wie eng die ungesunden Beziehungen der Regierungsspitze zu äußerst zweifelhaften Geschäftsleuten sind und deren Missbrauch von Geldern der Europäischen Union.

Können Minister-Rücktritte die Krise beenden?

Nein, sie zeigen nur, wie dramatisch die Lage ist. Innenminister Robert Kalinak galt bisher als unantastbar. Er ist quasi die Feuermauer rund um den Premier. Doch die Glaubwürdigkeit dieser Regierung ist bereits so beschädigt, dass rasche Neuwahlen der einzige Ausweg sind. Für uns sind Rücktritte nicht ausreichend. Dafür geht die Krise bereits viel zu tief.

Slowakei: Revolte gegen die Freunderlwirtschaft
Juraj Droba

Wie beurteilen Sie die Stimmung in der Bevölkerung?

Die Menschen haben das Vertrauen in die demokratischen Institutionen völlig verloren. Die Massenproteste sind ungeheuer wichtig, aber nur wenn sie friedlich bleiben, können sie dem Land zu einem politischen Neustart verhelfen. Wenn Gewalt ausbricht, stärkt das nur den politischen Extremismus. Ich als Landeshauptmann in der wohlhabenden Region Bratislava habe da keine Sorgen, aber was glauben Sie, was sich diesbezüglich im Osten unseres Landes entwickeln könnte?

Was irritiert sie an der politischen Lage am meisten?

Was ich für das Schlimmste halte, ist, dass wir dabei sind, in die 1990er-Jahre (halbautoritäres Regime unter Premier Vladimir Meciar) zurückzukehren. Diese Regierung hat nicht nur das Land kaputtgemacht, sie hat vor allem die demokratischen Institutionen untergraben.

Was ist der Plan der Opposition?

Sollten wir aus Neuwahlen als Sieger herausgehen, müssen alle Oppositionskräfte Kompromisse eingehen, um zu einem regierungsfähigen Bündnis zu kommen. Wir Liberale werden da auf viele unserer progressiven gesellschaftlichen Forderungen verzichten müssen. Aber vorerst muss es einmal um einen kompletten politischen Neustart gehen. Wir müssen die politischen Institutionen gänzlich neu aufstellen. Wir brauchen wieder eine Justiz, die unabhängig vom politischen Einfluss urteilt, eine Polizei, die für die Menschen arbeitet, nicht für die Oligarchen. Dann erst können wir andere Probleme angehen.

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