Slowakei: „Es geht nicht um sie, es geht um uns“

Kein Umgarnen in der Zwirnfabrik: Čaputová ist die Hoffung jener, die sich eine Wende wünschen, Šefčovič steht für die alte Polit-Elite
Der KURIER war bei der Debatte der Kandidaten für die Stichwahl am Samstag. Die könnte eine Wende in der Slowakei einleiten.

Wer in den Präsidentenpalast in Bratislava einziehen will, muss sich auch ungewöhnliche Fragen gefallen lassen. „Haben Sie die zehn Gebote nachgelernt?“, wendet sich die Moderatorin gleich zu Anfang an Maroš Šefčovič an diesem Montagabend in der alten Zwirnfabrik, heute ein Veranstaltungslokal, am Stadtrand von Bratislava. Die Slowakei ist ein katholisches Land, und Šefčovič, eigentlich bis 1989 Mitglied der Kommunistischen Partei, hat sich vor ein paar Tagen bei einem TV-Auftritt als gläubiger Christ präsentiert. Nur: Die zehn Gebote fielen ihm nur in Kurzfassung ein.

Mit den Geboten kennt sich der ehemalige EU-Kommissar inzwischen einigermaßen aus, er hat aber auch sonst an diesem Abend kein leichtes Spiel. Bratislava ist eine liberale Stadt, hier wählt man mehrheitlich bürgerliche Parteien – und nicht die linkspopulistische Regierungspartei SMER, die Šefčovič – wenn auch offiziell ein unabhängiger Kandidat – ins Rennen um die Präsidentschaft geschickt hat. Die Favoritin des meist jungen Publikums an diesem Abend ist Šefčovičs Gegnerin bei der Stichwahl am kommenden Samstag: Zuzana Čaputová. Auch Sie hat es mit der Kirche nicht leicht. „Wer dieser Kandidatin seine Stimme gibt, begeht eine Sünde“ warnte ein Bischof sogar bei der Predigt.

Slowakei: „Es geht nicht um sie, es geht um uns“

Der Systemerhalter und die Erneuerin: Maroš Šefčovič und Zuzana Čaputová.

Zuzana Čaputová, selbst Alleinerzieherin, hatte sich für Abtreibung und für das Recht auf Adoption für homosexuelle Paare ausgesprochen. Trotz der kirchlichen Wahl-Empfehlung führt die 45-jährige Bürgeranwältin laut jüngsten Umfragen mit 60 Prozent klar vor ihrem Herausforderer, den sie schon in der ersten Runde vor zwei Wochen klar deklassiert hat.

Shooting Star

Im November noch unbekannt, ist Čaputová zur Führungsfigur der neuen Protestbewegung in der Slowakei geworden. „Gemeinsam gegen das Böse“, ist ihr Slogan. „Ich spreche vielleicht nicht ganz so gut Englisch wie Sie, aber ich kenne die Sorgen der kleinen Leute besser“, wehrte sie eine Attacke Šefčovičs ab. Die Anwältin vertritt oft unentgeltlich Bürger, die nicht zu ihrem Recht kommen.

„Bei uns dienen die Staatsorgane nicht der Allgemeinheit sondern einer Gruppe ausgewählter Leute“, macht ein slowakischer Reporter am Rande der Debatte die Stimmung deutlich. Über das Geflecht zwischen der Regierungsspitze, Oligarchen und der italienischen Mafia, die in der Slowakei großflächig Betrug mit EU-Agrarförderungen betrieben hatte, berichtete der Reporter Ján Kuciak – bis er vor einem Jahr ermordet wurde. „Die Korruption und den Missbrauch der Justiz und Polizei, das haben wir ertragen. Doch ein Mord das ist zu viel“, so der Journalist bei der Debatte zum KURIER.

Der Mord wurde zum Auslöser einer breiten Protestbewegung. Hunderttausende Menschen gingen auf die Straße, um gegen die SMER-Regierung zu protestieren. Die machte man für den Mord an Kuciak verantwortlich. Regierungschef Robert Fico musste abtreten, bei den Kommunalwahlen kassierte die Partei kürzlich eine heftige Niederlage.

Inzwischen ist der Oligarch Marián Kočner wegen des Auftrags zur Ermordung Kuciaks angeklagt, doch die Regierungsgegner wollen mehr. Und zu allererst wollen sie Čaputová als neue Präsidentin sehen. „Sie ist für uns junge Leute die Hoffnung, dass sich endlich etwas ändert“, schwärmt die Studentin Adriana, die in die Zwirnfabrik gekommen ist, um für die Kandidatin zu jubeln. „Es geht nicht um sie, es geht um uns“, sagt sie.

Die Protestbewegung hat jedenfalls viel vor. Eine Parteigründung wird überlegt – um bei Parlamentswahlen die politische Wende einzuzementieren.

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