Separatisten-Gebiete: Was Donezk und Lugansk wirklich wollen

Separatisten-Gebiete: Was Donezk und Lugansk wirklich wollen
Donezk und Lugansk streben nach Unabhängigkeit vom Mutterstaat. Wie abtrünnige Regionen überleben, und warum Katalonien nie der Donbass wird.

Die Ostukraine und Russland, ein Paradebeispiel für historisch gewachsene Ver- und Entflechtungen: Ein Teil der ukrainischen Bevölkerung ist russischer Abstammung, auf den Straßen in Donezk und Lugansk wird Russisch gesprochen. Doch selten schien der Donbass Mütterchen Russland so nahe wie heute: Seit der Annexion der Krim 2014 fordern Separatisten immer lauter die Unabhängigkeit vom Mutterstaat, riefen sogar eigene "Volksrepubliken" aus.

Der Kreml unterstützt mit Waffen, zahlt Pensionen und Löhne aus, die ukrainische Hrywnja ist dem russischen Rubel schon längst gewichen. Bewohner der Region können in einem vereinfachten Verfahren die russische Staatsbürgerschaft beantragen, eine eigene Buslinie fährt bis zum Migrationsbüro über die Grenze. Mehr als 720.000 der 3,7 Millionen Einwohner, das ist jeder Fünfte, sollen davon bereits Gebrauch gemacht haben, für die Ausstellungsgebühren kommt Moskau auf. Grenz- und Zollkontrollen sind ebenfalls gefallen.

"Russland spielt den Patron, der das Überleben der abtrünnigen Region sichert", sagt Irene Etzersdorfer, sie forscht an der Uni Wien zu ethnischen Konflikten und internationaler Konfliktlösung. Dieselbe Strategie hat Moskau in den 2000er-Jahren schon in anderen Gebieten erfolgreich erprobt, etwa in Abchasien und Südossetien (Georgien) oder in Transnistrien (Moldau).

Die Regionen haben sich formell vom Mutterstaat unabhängig erklärt, organisieren sich innenpolitisch selbst, werden allerdings international von keinem oder nur einer Handvoll anderer Staaten anerkannt. Im politikwissenschaftlichen Diskurs nennt man sie De-facto-Staaten. Donezk und Lugansk wollen das auch.

Wann ist ein Staat ein Staat?

Prinzipiell braucht es nicht viel, um ein Staat zu sein: Dem österreichischen Staatsrechtler Georg Jellinek zufolge reichen ein klares Territorium, eine Bevölkerung und ein auf diesem Gebiet herrschendes und kontrollierendes Gewaltmonopol.

Ukrainian servicemen at the positions on a front line in the East of Ukraine

Seit der Annexion der Krim 2014 fordern Separatisten in der Ostukraine immer lauter die Unabhängigkeit vom Mutterstaat, riefen sogar eigene "Volksrepubliken" aus.

Komplizierter wird es jedoch bei der Anerkennung durch die internationale Gemeinschaft. Ausschlaggebend sei, dass die Abspaltung vom Mutterland nicht ohne Grund vonstattengegangen ist, sagt Etzersdorfer: "Es braucht einen legitimen Grund, etwa die Unterdrückung oder innerstaatliche Verfolgung einer Bevölkerungsgruppe." Das war etwa 2008 beim Kosovo der Fall, der nach Jahren des Krieges und der Unterdrückung der albanischen Minderheiten unabhängig wurde und aktuell von 115 der 193 UN-Mitgliedsstaaten anerkannt wird.

Separatisten-Gebiete: Was Donezk und Lugansk wirklich wollen

Nicht aber bei Somaliland: Die Teilregion Somalias kann zwar eine eigene Währung, Regierung und Armee aufweisen, doch völkerrechtlich gibt es laut Experten keine ausreichende Legitimation für die Abspaltung nach dem Sturz des Diktators Siad Barre 1991 – und somit auch keine Anerkennung.

Populistische Führer nutzen das ethnische Prinzip, um über eigene wirtschaftliche Misserfolge hinwegzutäuschen

von Irene Etzersdorfer

Konfliktforscherin, Uni Wien

Autonomiebestrebungen alleine reichen demnach noch lange nicht, um aus der territorialen Integrität des Mutterstaates auszubrechen.

Spielball der Populisten

Etzersdorfer verweist auf Katalonien in Nordspanien oder die Republika Srpska in Bosnien-Herzegowina. Sie nennt die Separationsbewegungen dort "einen Sturm im Wasserglas": "Populistische Führer nutzen das ethnische Prinzip zur politischen Identitätsbildung, um über die eigenen wirtschaftlichen und politischen Misserfolge hinwegzutäuschen und eine demokratisch unerfahrene Bevölkerung zu mobilisieren."

Gleichzeitig warnt sie vor einer stillschweigenden Anerkennung: Konflikte zwischen den abtrünnigen Regionen, dem Mutterstaat und dem Patron tendierten dazu, sich festzufahren, die internationale Gemeinschaft interveniere selten. "Wenn langfristig nicht eingegriffen wird, ist eine Nicht-Anerkennung irgendwann nicht mehr argumentierbar", sagt Etzersdorfer.

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