Ukraine-Invasion am Mittwoch? Der Informations-Krieg tobt schon jetzt
"Wir befinden uns in einem Zeitfenster, in dem eine Invasion jederzeit beginnen könnte, sollte sich Wladimir Putin dazu entschließen, sie anzuordnen", warnte Freitag Nacht der amerikanische Sicherheitsberater Jake Sullivan im Weißen Haus.
Noch konkreter: Bereits vor Ende der Olympischen Spiele könnte Russland zuschlagen, hieß es aus Geheimdienstkreisen.
Und ganz konkret: Mittwoch wäre womöglich der Tag des Angriffs.
Sullivan fuhr fort: Eine Invasion würde wohl mit Luftangriffen starten, aber ein schneller Vorstoß auf Kiew wäre ebenfalls denkbar. Der nationale Sicherheitsberater bezog sich dabei auf Hinweise der CIA, schloß aber aus, dass das Weiße Haus diese Einschätzung auch wirklich teilt.
So schrill, so drastisch diese Warnungen sind: Überprüfen lassen sie sich nicht. Geheimdienstliche Informationen werden gewöhnlich nicht veröffentlicht, es sei denn sie dienen den Zielen ihrer Regierung. Und ob sie wahr oder nur teilweise wahr sind, wissen nur die Dienste selbst.
Russland protestiert
Wenig überraschend kam am Samstag eine scharfe Zurückweisung von russischer Seite: Russlands Botschaft in den USA verurteilte den von Washington verbreiteten „Alarmismus". Beweise für die angeblich bevorstehende Invasion würden nicht vorgelegt, sagte der russische Botschafter, Anatoli Antonov. Die Aussagen in Washington zeugten nur davon, dass die USA ihre „Propaganda-Kampagne gegen unser Land verstärkt haben", sagte Antonow.
Ganz bewusst hatte Sicherheitsberater Sullivan davor seine Botschaft im Vagen gehalten: Man habe keine definitive Information, dass Russlands Präsident Putin die Invasion angeordnet habe: "Wir sagen nicht, dass Präsident Putin die Entscheidung getroffen hat - wir sagen, dass unsere Besorgnis, basierend auf dem, was wir vor Ort sehen und was unsere Geheimdienstanalysten aufgeschnappt haben, groß genug ist, dass wir diese klare Botschaft senden.« Nämlich, dass alle Amerikaner aus der Ukraine ausreisen sollen, binnen 24 bis 48 Stunden.
Berlin rät zur Ausreise
Auch Deutschland hat am Samstag seine Bürger aufgefordert, das Land so schnell wie möglich zu verlassen. Zuvor hatten dies neben den USA auch Großbritannien, Dänemark, Lettland, Estland und Israel empfohlen. Die EU hingegen zieht ihren Botschafter vorerst nicht aus Kiew ab. Auch Österreichs Außenministerium warnt vorerst nur vor "nicht notwendigen Reisen" in die Ukraine.
Die Geschichte der Ukraine und des Konflikts
Größte Krise in Europa seit 1945
Tatsache ist: Der gewaltige russische Truppenaufmarsch an den Grenzen der Ukraine hat zur größten Sicherheitskrise in Europa seit 1945 geführt. Bis zu 150.000 Soldaten soll Russland mittlerweile zusammengezogen haben, große Militärmanöver haben in Belarus begonnen. Während der Kreml stets dementiert, dass eine russische Invasion in der Ukraine geplant sei, warnen die USA, NATO und die EU genau davor.
Doch angesichts der immer dramatischeren Warnungen der USA bleibt offen: Greift Washington bewusst zu solch drastischen Szenarien - wie etwa ein drohender Angriff an Mittwoch - um Russland abzuschrecken? Sollen so die Pläne des Kreml durchkreuzt werden?
Das erste Opfer des Krieges ist immer die Wahrheit, lautet ein altbekanntes Bonmot. Doch in der ukrainisch-russischen Krise wurde die Wahrheit schon jetzt von beiden Seiten in einer Informationsschlacht überrollt.
Die dichtesten Informationsnebel kommen aus Russland: Riesige Truppenverbände werden verlagert, Moskau aber bezeichnet sie als reine Manöver. Der Kreml weist jedes Wort von einer drohenden Invasion der Ukraine zurück, lässt aber die eigene Bevölkerung in den staatlichen Sendern von früh bis spät mit Sendungen beschallen, dass "die Ukraine bis an die Zähne bewaffnet an den Grenzen zu Russland"stünden. Bewusst wird der Westen im Unklaren gehalten, das Szenario, dass ein Krieg ausbrechen könnte, wird von Moskau aus immer angedeutet, aber nie ausgesprochen.
Wie das Gas nach Europa kommt
Von Filmen und Blutkonserven
Washington kontert auf diese Strategie der Unklarheit nun ebenfalls immer öfter mit unüberprüfbaren Informationen. Da war etwa die Rede von einem angeblich gefälschten Video, das Russland gedreht habe: Damit wolle man, hieß es wiederum aus Geheimdienstkreisen, dass Russland einen Einmarsch in der Ukraine provozieren könnte. Der angeblich geplante Film soll den Mord an der russischsprachigen Bevölkerung in der Ostukraine zeigen: drastische Bilder von zerbombten Orten und Leichen.
Doch den Film hat bis heute niemand gesehen. Dass er überhaupt existiert, dafür blieben die Warner in Washington bisher alle Beweise schuldig.
Vor einigen Wochen verbreitete eine Nachrichtenagentur Meldungen, wonach Russland bereits Blutkonserven an die Grenze befördere. Die Nachricht stützte sich auf drei anonyme US-Regierungsquellen und verstärkte so den Eindruck, dass ein Angriff unmittelbar bevorstehen könnte.
Das Dementi kam sofort - allerdings nicht von russischer Seite, sondern von der Ukraine. Diese Darstellung sei falsch, hieß es von Seiten der Regierung in Kiew.
Telefon-Diplomatie
Während die Spannungen steigen, laufen die diplomatischen Bemühungen zu einer Beilegung der Krise weiter auf Hochtouren. US-Präsident Joe Biden und der russische Staatschef Wladimir Putin wollen am Samstag Abend telefonieren. Auch der französische Präsident Emmanuel Macron wird mit seinem russischen Amtskollegen sprechen. Deutschlands Kanzler Olaf Scholz reist am Montag nach Moskau. Scholz wird am Dienstag erstmals als deutscher Kanzler in Moskau mit Putin zusammentreffen.
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