Putin hat nicht viel zu verlieren

Putin hat nicht viel zu verlieren
Russlands Präsident nutzt Europas Uneinigkeit gnadenlos aus. Dauerhafter Frieden ist mit ihm so nicht machbar.
Evelyn Peternel

Evelyn Peternel

Man könnte meinen, das Einzige, wovor Wladimir Putin derzeit Angst hat, ist das Coronavirus. Wer ihn treffen will, muss 14 Tage in Isolation, mit Staats- und Regierungschefs spricht er selbst nach hochintensivem Testen nur aus einigen Metern Abstand.

Und ja, vor etwas anderem braucht er sich auch nicht zu fürchten. Opposition existiert in Russland praktisch keine, Alexej Nawalny ist weggesperrt, und Medien, die kritisch hinterfragen, werden per Gerichtsbeschluss mundtot gemacht. Und der Westen? Der hat ihm auch nicht viel entgegenzusetzen. Europa ist mit dem 130.000-Mann-Aufmarsch an der Grenze mit der größten kriegerischen Bedrohung seit dem Ende des Kalten Krieges konfrontiert, schafft es aber nicht, mit einer Stimme zu sprechen – und ist sich nicht einmal ansatzweise einig, was eine Antwort wäre.

Dabei wäre Einigkeit dringend nötig. Denn Putin spielt mit den europäischen Unsicherheiten, wo er nur kann, und macht so die ohnehin schon großen Gräben noch größer. Dass Olaf Scholz aufgrund der deutschen Abhängigkeit vom russischen Gas in Sachen Nord Stream 2 so herumlaviert und Deutschlands Rolle auf der Weltbühne gefährdet, ist ebenso ein Geschenk für den Kreml wie Emmanuel Macrons Flügelschlagen. Am Tag nach dem Besuch von Frankreichs Präsident im Kreml dementierte Moskau kurzerhand die Fortschritte, die Macron zuvor stolz verkündet hatte. Eine Demütigung mit Anlauf.

Dabei hätten es die Europäer wissen können. Das Vor-und-Zurück, das Dementieren, die „Lackierung der Wirklichkeit“, die man aus der UdSSR kennt, das hat in Moskau seit Jahren Methode. Rechtspopulisten werden querfinanziert, alternative Medien verbreiten Fake News, und westliche Politikeregos werden für russische Zwecke eingespannt (nicht ganz unironisch nennt man die Korrumpierbarkeit europäischer Politik in Russland Schröderisazija – Schröderisierung). Auch die aggressive Politik der letzten Jahre – Russland hat ja nicht nur in der Ukraine, sondern auch in Syrien, Kasachstan, Libyen und neuerdings in Mali Konflikte angeheizt – war Warnsignal.

Europa steht jetzt mit leeren Händen da, weil Putin nicht viel zu verlieren hat. Dass er sich an Vereinbarungen hält – Stichwort Minsker Abkommen – sollte niemand erwarten. Zudem hat er vorgesorgt, den Staat seit 2014 auf Wirtschaftskrieg eingestellt: Die russischen Goldreserven sind auf Höchststand, man hat Devisen in Milliardenhöhe gehortet und begonnen, die Wirtschaft vom Dollar zu entkoppeln. Zudem stärken China und Indien Putin den Rücken.

Russland hat mehr Optionen als der Westen, darum stellt es auch Forderungen, die überzogen und irrational erscheinen. Putin will – und er wird – eine neue regionale Ordnung erzwingen. Leider auch über die Köpfe der Europäer hinweg.

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