Kreml-Kennerin: "Putin arbeitet noch immer wie im KGB"

Kreml-Kennerin: "Putin arbeitet noch immer wie im KGB"
Catherine Belton kennt Putin und sein Netzwerk bestens. Ein Gespräch über seine Pläne in der Ukraine, Europas fehlende starke Frau und Drohungen gegen sie

Während Catherine Belton für unser Gespräch in ihrer Londoner Wohnung sitzt, stehen an der ukrainischen Grenze mehr als 100.000 russische Soldaten. Die Investigativ-Journalistin weiß, was den Kremlchef antreibt: Sie hat vor zwei Jahren ein Buch über seinen Aufstieg geschrieben und dafür mit dutzenden Vertrauten und KGB-Wegbegleitern des Präsidenten gesprochen.

KURIER: Beginnen wir mit dem Drängendsten: Was ist Putins Ziel – in der Ukraine, aber auch darüber hinaus?

Catherine Belton: Sein Ziel sind Zerrüttung und Spaltung des Westens. Der ist in seinen Augen so schwach und zerstritten wie noch nie, vor allem die USA nach Trump. Er witterte nach dem chaotischen Abzug aus Afghanistan und dem Treffen mit Joe Biden, der ihn einen „würdigen Gegner“ nannte, eine Chance – und hat gezeigt, dass er eigenhändig die Nachkriegsordnung neu entwerfen will. Das ist es, was Russland unter Putin seit Jahren zum Ziel hat: Schon 2011 sagten mir Ex-KGBler, dass er ein neues Jalta wolle.

Will Putin Krieg?

Ich denke nicht. Er hat sich sicherlich schneller und einfacher Konzessionen erwartet. Er hat aber einen relativ vereinten Westen gegen sich, der sich bei Sanktionen sehr einig ist. Und die könnten wirklich schmerzhaft für ihn und für seine Vetternwirtschaft sein. Eine Totalinvasion hätte zudem hunderte, wenn nicht tausende Tote Soldaten zur Folge, das wäre innenpolitisch verheerend. Andererseits inszeniert er die Provokationen aber nicht, um zu schockieren und dann nachzugeben. 

Seit Angela Merkels Abgang fehlt in Europa ein starker Gegenpart zu Putin.  Die aktuelle Eskalation ist doch kein Zufall?

Nein. Er hat diese Gelegenheit genutzt, zumal Teile der neuen Kanzlerpartei SPD Russland nahe stehen – Manuela Schwesig, die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, betreibt eine Stiftung, die Nord Stream 2 finanziell unterstützt. Oder Gerhard Schröder, der seit Langem engste Kontakte zu Russland hat. Putin hat aber sicher nicht erwartet, dass die SPD Nord Stream 2 bei einer Invasion infrage stellt – das sieht jetzt aber danach aus. Er dachte, die Deutschen seien schwächer.

Wer in Europa könnte ihm auf Augenhöhe entgegentreten? Macron und Johnson versuchen es ja.

Macron agiert für sein eigenes Publikum, ihm steht ja eine Wahl bevor. Eine neue Merkel sehe ich darum nicht, eine Figur wie sie fehlt. Und Johnsons Auftritte sind einfach nur ein Witz.

Im Westen gibt es auch die Meinung, Putin werde falsch bewertet, er habe nachvollziehbare Absichten und sein Volk stünde hinter ihm.

Angesichts dessen, dass er die Medien komplett kontrolliert, ist das schwer zu sagen. Es gibt viele, die ihn nach wie vor dafür bewundern, nach den 1990ern Stabilität gebracht zu haben. Im Laufe der letzten zehn Jahre ist der Lebensstandard aber massiv gesunken, Wahlen gewinnt er nur mehr mittels Fälschungen. Dass Putin nur mehr durch Angst regieren kann, ist ein Zeichen für seine schwindende Macht. Das treibt ihn in der Ukraine auch an: Er sucht die Konfrontation mit dem Westen als Rechtfertigung, warum er noch im Amt ist – er hat dem Volk nichts mehr zu bieten.

Sie beschreiben, wie Ex-KGB-Agenten ihn im Jahr 2000 ins Amt hievten. Sind diese „Siloviki“ heute noch Drahtzieher? Oder ist Putin der einzig starke Mann?

Diese alte KGB-Garde gibt es heute noch, aber Putin ist eindeutig der Mann, der das Sagen hat. Diese alte KGB-Garde gibt es noch, aber Putin ist eindeutig der Mann, der das Sagen hat. Er ist Frontmann jener KGB-Männer, die mit ihm an die Macht kamen. Sie stammen aus Leningrad, heute St. Petersburg, und hatten den Ruf, besonders skrupellos und machthungrig zu sein – wie Putin auch.

Sind Putins Methoden dem Westen gegenüber die des alten KGB?

Er und seine Männer arbeiten auch heute noch im Stil des KGB aus den 1970ern und 80ern, nur dass sie viel mehr Geld haben, um den Westen zu destabilisieren. Man nannte das damals „aktive Maßnahmen“: Desinformation, um westliche Politiker zu diskreditieren, Morde an politischen Gegnern, finanzielle Unterstützung von Parteien im Ausland – in der UdSSR waren das die Kommunisten, jetzt die Rechtspopulisten. Daneben gab es ein System schwarzer Kassen in Ländern wie Liechtenstein, der Schweiz oder Österreich, um Operationen im Ausland finanzieren. Dieses Modell hat Putin dann auf ganz Russland übertragen: Ihm geht es dabei nicht um Selbstbereicherung, Schlösser und Yachten, sondern um politische Dominanz. Mit diesem Schwarzgeld wird heute sichergestellt, dass die Wahlen in  Russland so ausgehen wie gewünscht. 

Warum fühlen sich manche westliche Politiker – und auch Wähler – von diesem System angezogen?

Dass Putin tun und lassen kann, was er will, macht ihn wohl anziehend, das hat man an Donald Trumps Bewunderung gesehen. Dazu kommt ein gewisser Konservatismus – Putin appelliert an christliche Werte, was vor allem bei jenen gut ankommt, die sich abgehängt fühlen.

Sie wurden für Ihr Buch verklagt, unter anderem von Roman Abramowitsch und Rosneft. Mittlerweile sind alle Streitigkeiten beigelegt, aber: Hatten Sie Angst?

Ich war überrascht, weil ich noch nie zuvor unter Druck gesetzt worden war. Ich hatte das Gefühl, die reichsten Männer und Firmen Russlands taten alles, um mein Buch zu diskreditieren. Das ist ja auch sehr kostspielig – hätten wir uns vor dem britischen Gericht weiter gegen Abramowitsch verteidigt, hätte das den Verlag 2,5 Millionen Pfund gekostet. Der Vorwurf von Rosneft war so abenteuerlich, dass es zeigte, dass der Kreml involviert war. Die Flut an Klagen kam auch zufälligerweise, kurz nachdem Alexej Nawalny mein Buch in einem Video gezeigt hatte.

Sind Sie nach dem Erscheinen des Buchs jemals wieder nach Russland gereist?

Ich habe es gar nicht probiert – ich glaube auch nicht, dass ich ein Visum bekäme. Aber ich muss gar nicht aus London raus, Russlands Einfluss spürt man auch hier zur Genüge.

Buchtipp: Catherine  Belton, Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste. HarperCollins. 640 Seiten. 26,95 Euro 

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