Worum geht es in der Ukraine genau?
Warum hat Russland eigentlich 100.000 Mann an der Grenze stationiert?
Russland versucht seit 2014, sich Teile der Ukraine einzuverleiben, weil der Nachbar aus dem russischen Orbit Richtung Westen abzudriften droht. Zunächst gelang das bei der historisch wichtigen Krim, später schickte man getarnt Soldaten in den Donbass, wo sie Separatisten bei der Gründung der abtrünnigen Republiken Donezk und Luhansk unterstützten. Seit Frühling 2021 lässt Moskau nun immer mehr Soldaten an der ukrainischen Ostgrenze und in seinem Bruderstaat Belarus aufmarschieren; offiziell sind dies alles Übungen. Westliche Militärs als auch unabhängige Beobachter sehen darin aber den Versuch, Gebiete zu erobern oder zumindest den Westen zu Konzessionen zu zwingen.
Ist ein Einmarsch wahrscheinlich? Und könnte die Ukraine dagegenhalten?
Dass Russland die gesamte Ukraine besetzen will oder plant, Kiew einzunehmen, darf angesichts der 100.000 stationierten Soldaten stark bezweifelt werden. Für eine solche Invasion wären im konventionellen Krieg weit mehr Truppen nötig – ein Angreifer benötigt etwa dreimal so viele Kräfte wie der Verteidiger, die Ukraine verfügt über 200.000 Soldaten. Andererseits ist Russland materiell überlegen und deren Militärmaschinerie durch Einsätze wie etwa in Syrien besser geölt. Sollte es zu einem russischen Angriff kommen (200.000 weitere Soldaten könnten schnell zur Stelle sein), wäre die 340 km lange Landbrücke zwischen den Separatistengebieten im Donbass und der Krim erstes Ziel. Russland streut zudem bewusst verschiedene Angriffsszenarien, um die ukrainischen Kräfte zu zersplittern.
Was machen die USA im Fall eines Angriffs?
Die USA versetzten Anfang der Woche über 8.000 Soldaten in erhöhte Alarmbereitschaft. Würde das Szenario des raschen russischen Angriffs Wirklichkeit, wären allerdings sowohl den USA als auch der EU in der Ukraine militärisch die Hände gebunden – die Ukraine ist kein NATO-Staat, die EU hat keine Einsatztruppen. Was Russlands Präsident Putin aber tatsächlich vorhat, weiß wohl nur er selbst – eine direkte militärische Konfrontation mit den USA dürfte aber wegen des ungleichen Kräfteverhältnisses nicht im Interesse Moskaus sein (siehe Grafik).
Gibt es Chancen auf eine diplomatische Lösung?
Ja. Am Mittwoch haben sich Vertreter der Ukraine, Russlands, Frankreichs und Deutschlands in Paris getroffen, erstmals seit 2020 wieder. Dem Format wird am ehesten zugetraut, Lösungen zu erarbeiten, weil Frankreich und Deutschland schon seit Beginn der Krimkrise als Vermittler fungiert haben. Fraglich ist, welche Konzessionen der Westen Russland anbieten kann – Moskau fordert, dass die NATO eine mögliche Mitgliedschaft der Ukraine ausschließt und militärische Aktivitäten in der Ukraine, Osteuropa oder dem Kaukasus aufgibt. Zumindest Zweiteres ist undenkbar.
Die Geschichte der Ukraine und des Konflikts
Womit droht der Westen?
Darüber soll Moskau einerseits bewusst im Unklaren gelassen werden, andererseits ist sich vor allem die EU uneins (siehe Artikel unten). So steht eine Sperre des Zahlungssystems Swift für Russland zur Debatte, auch eine Blockade der für Russland wichtigen Gaspipeline Nord Stream 2 wurde diskutiert – da steht Deutschland auf der Bremse. Die USA wiederum haben am Dienstag mögliche Maßnahmen durchsickern lassen, die Putin persönlich treffen sollen, zudem will man Russland über Exportkontrollen von westlicher Technologie abschneiden. Auch den Zugang zum Dollar könnten die USA versperren, was für Moskau sehr schmerzhaft wäre – viele Bürger und Unternehmen könnten dann keine Routinetransaktionen wie Gehaltsabrechnungen durchführen.
Stehen die Russen eigentlich hinter Putin?
Putins Umfragewerte sinken seit Jahren stetig, 42 Prozent der Russen wollen Putin nach 2024 nicht mehr im Amt sehen. 2014 hatten sie mit der Annexion der Krim Höchstwerte erreicht, ein Krieg mit der Ukraine könnte die Werte also wieder steigen lassen, so das Kalkül. Das könnte aber auch nach hinten losgehen: Denn schon jetzt hat Russland mit massiven ökonomischen Problemen zu kämpfen, die sich durch Sanktionen verschlimmern würden – allein in den vergangenen Tagen fiel der Rubel zum US-Dollar auf den tiefsten Stand seit mehr als einem Jahr.
Gibt es in der Ukraine Stimmen, die eine russische Annexion befürworten?
Ja, im Osten der Ukraine. Allerdings werden die pro-russischen Parteien dort immer weniger einflussreich – das ukrainische Selbstbewusstsein ist seit dem Krimkrieg massiv angewachsen.
Wie das Gas nach Europa kommt
Wo steht Österreich in dem Konflikt?
Österreich ist zu einem hohen Teil von russischem Erdgas abhängig, Außenminister Schallenberg befürwortet daher Sanktionen, will aber – wie Deutschland – Nord Stream 2 außen vor lassen. Das Verteidigungsministerium trifft derzeit keine Vorbereitungen für einen etwaigen Einmarsch Russlands in die Ukraine. „Die Entwicklung in der Region beobachten wir – wie jeden anderen Konflikt – genau“, heißt es. Es ist davon auszugehen, dass im Ernstfall der Grenzschutz verstärkt würde. Die außenpolitischen Handlungen der Regierung würden im Rahmen der EU abgestimmt, wahrscheinlich ebenso humanitäre Hilfe.
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