Selenskij in den USA: Mitten aus dem Krieg zum starken Bruder
Olivfarbene Cargo-Hosen. Olivfarbener Armee-Pullover. Braune Militär-Boots. Wolodymyr Selenskij ließ schon beim ersten Händeschütteln mit Joe Biden auf dem roten Teppich am Weißen Haus am Mittwochnachmittag gegen 14 Uhr in kalter Wintersonne keinen Zweifel daran, wo er herkommt: aus dem Krieg.
Der ukrainische Präsident war kurz vorher mit einer aus Polen abgeflogenen US-Regierungsmaschine auf dem Luftwaffen-Stützpunkt Andrews vor den Toren Washingtons gelandet. Es war sein erster Auslandsbesuch seit dem Angriff Russlands auf sein Land Ende Februar. Ein logistisches Husaren-Stück.
Bevor sich die Staatsmänner zum Meinungsaustausch zurückzogen, macht der 44-Jährige im Oval Office vor knisterndem Kaminfeuer klar, um was es ihm geht: Er will Danke sagen. Seinem Gastgeber Joe Biden, der ihn fast väterlich in den Arm nimmt. Dem Kongress, der auf Initiative Bidens bereits über 22 Milliarden Dollar für Militärhilfen für die Ukraine freigegeben hat. Und den, wie Selenskij in einwandfreiem Englisch sagt, "einfachen Amerikanern".
Symbolisches Geschenk für Biden
Biden, im dunkelblauen Business-Anzug, hört aufmerksam zu, lobt den “Mut” der Ukrainer im Kampf gegen Russland und sichert weitere Unterstützung zu. Aber es ist Selenskij, der das Floskel-Ritual für die Fotografen mit einer besonderen Geste aufbricht.
Ein ukrainischer Soldat, „ein echter Held”, habe ihn gebeten, Biden seinen Verdienstorden zu überbringen, sagt Selenskij. Der besagte Hauptmann namens Pavol verantwortet eine von den USA gelieferte Raketenwerfer-Batterie vom Typ Himars. Biden ist gerührt. Er bedankt sich für das Geschenk, das er „nicht verdient” habe.
In diesem Moment weiß Selenskij, der mit seiner unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen choreografierten Kurz-Visite Kremlherrscher Putin demonstrativ die Stirn bietet, längst, dass die Schutzmacht Amerika es weiter gut mit ihm meint.
Neues Hilfspaket inklusive Patriot-Raketenabwehr
Bei der gemeinsamen Pressekonferenz bestätigt Biden, dass ein weiteres Hilfspaket im Volumen von 1,85 Milliarden US-Dollar geschnürt ist. Mit dabei zum ersten Mal: eine Batterie mit „Patriot”-Abwehrraketen. Dadurch werde es schwieriger für Russland, „unsere Energie-Infrastruktur”, weiter in Schutt und Asche zu legen, sagt Selenskij.
Bidens Logik: „Wir wissen, dass Putin nicht die Absicht hat, diesen grausamen Krieg zu beenden.” Seinem Gast bescheinigt er hingegen, „offen zu sein, um einen gerechten Frieden zu erreichen.” Selenskij revanchierte sich abermals mit einer Hymne auf die Standfestigkeit der USA, die das internationale Bündnis gegen Russland intakt gehalten hätten. Das gehe auf Bidens Führungsstärke zurück.
Abstimmung im US-Kongress steht bevor
Selenskijs Auftritt in Washington kommt zu einem heiklen Zeitpunkt. Im Parlament laufen sich Demokraten und Republikaner zu einer Abstimmung über den Staatshaushalt 2023 warm. Im 1,7 Billionen-Dollar-Paket stecken rund 45 Milliarden Dollar Hilfen für die Ukraine. Biden will Kiew militärisch wehrhaft halten.
Am rechten Rand der Republikaner regt sich Widerstand. „Die Zeiten für Blankoschecks an Kiew sind vorbei”, heißt es dort. Einige drängen darauf, der Ukraine den Geldhahn ganz abzudrehen. Selenskij betont: „Für uns geht es ums Überleben." Gelingt die Abstimmung, wäre Selenskij auf der sicheren Seite. Mit ihrer neuen Mehrheit im Repräsentantenhaus stünden die Republikaner ab Jänner vor vollendeten Tatsachen.
Am späten Abend sprach Selenskij auf Einladung von Nancy Pelosi, der scheidenden demokratischen Sprecherin des Repräsentantenhauses, vor beiden Kammern des Kongresses. Die Rede wurde im Vorfeld mit einem Auftritt des britischen Premierministers Winston Churchill vor 80 Jahren während des Zweiten Weltkrieges verglichen. Also wortgewaltig.
Auch im Kapitol die dominierende Optik: Olivfarben. Selenskij kommt aus dem Krieg.
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