"Wollen Sie einen Witz hören?“, fragt Wolodimir Selenskij. Er sitzt in der Kiewer Metro, im Hintergrund donnert die U-Bahn vorbei, manchmal heulen die Sirenen. „Ja!“, sagt David Letterman, und Selenskij legt los.
Es ist ein eigentümliches Setting, in dem der große alte Mann der US-Late-Night-Show seinen Gast interviewt, und doch passt es wie die Faust aufs Auge. Der ukrainische Präsident sitzt der US-Ikone mitten in einer Metrostation gegenüber, an jenem Ort, an dem viele Hauptstädter seit Kriegsbeginn Schutz suchten, und der – Putins Bomben zum Trotz – nach wie vor reibungslos funktioniert. 45 Minuten unterhalten sich die beiden, sie reden über Persönliches wie Telefonate mit Frau und Kindern, über Selenskijs Blick auf Putin („wenn er stirbt, ist auch der Krieg vorbei“), und eben auch über den Humor.
Letterman hat Selenskij in seiner Reihe „My Next Guest Needs No Introduction“ besucht, zuvor saßen ihm da schon Größen wie Barack Obama, Melinda Gates oder George Clooney gegenüber. Und jetzt eben Selenskij, der – wie als Ansage – einen Hoodie mit der Aufschrift „I’m Ukrainian“ trägt: eine süffisante Botschaft an Putin, der im Kreml sitzt und behauptet, das Land, das er bombardiert, gebe es gar nicht.
Ist das ein gelungener PR-Coup – oder schon zu viel der Inszenierung, wie manche Beobachter unken?
Selenskij, einstiger Volksschauspieler, der es bis zum Präsidenten geschafft hat, hat seit 24. Februar intensiv die Bühne gesucht. Lettermans Show ist nur der letzte Reichweiten-Boost, Netflix hat immerhin mehr als 200 Millionen Abonnenten. Was der 44-Jährige Selenskij stets wie im Lehrbuch vorzeigte, war der Einsatz von „Soft Power“, quasi: Wie man sich durch Charme und Verve Freunde in aller Welt macht – und seine Macht abseits von Bomben und Granaten ausbaut.
Das brachte ihm im Westen den Vorwurf ein, zu forsch, zu fordernd, im Auftritt inflationär zu sein. Reden wie jene bei den Grammys oder beim Glastonbury Festival hätte er sich sparen können, hieß es; und als er sich mit seiner Frau Olena auf der Vogue abbilden ließ, sagte man, er inszeniere den Krieg auf Hochglanzpapier. Dass sein Team jedes Vier-Augen-Gespräch mit westlichen Politikern sofort auf Social Media dokumentierte, um denen ja keine Rückzieher zu erlauben, irritierte viele – diplomatisch war das nicht.
Geschadet hat ihm die mediale (Über-)präsenz dennoch nicht. Der Westen liefert Waffen in einem Ausmaß, das im Februar niemand für möglich gehalten hat, und in der Ukraine hatten seine täglichen Videos ans Volk den Effekt, mit dem Putin gar nicht gerechnet hatte. Sie einten das seit Jahren zerstrittene Land und machten Selenskij, der vor dem Krieg einer der unbeliebtesten Politiker überhaupt war, weil er Transparenzversprechen nicht einlöste und im Korruptionssumpf zu versichern drohte, zum perfekten Kriegspräsidenten.
Die Financial Times, die ihn ebenso wie das Time Magazine zur Person des Jahres kürten, vergleicht seine Selfie-Videos deshalb gar mit den ikonischen Radioansprachen Winston Churchills während des Zweiten Weltkriegs. Ob der Vergleich übertrieben ist, mag freilich erst die Geschichte beurteilen. Innerhalb der Ukraine jedenfalls wird der 44-Jährige weit weniger unkritisch gesehen als im Westen vermutet. Zwar stehen laut Umfragen die meisten Ukrainer hinter ihm, aber seine Rolle wird – im demokratischen Rahmen – hinterfragt. Als „Superstar“ werde er nur im Westen gesehen, sagte der ukrainische Literat Andrej Kurkow kürzlich im KURIER. Ob er die Ukraine aber auch nach einem möglichen Ende des Krieges in eine Zukunft führen kann, da sind sich viele nicht so sicher.
Bier am Meer
Bei Letterman beantwortet er die Frage nach seiner Zukunft deshalb diplomatisch. Er freue sich darauf, am Meer zu sein und ein Bier zu trinken, sagt er da. Zuvor erzählt er aber noch den Witz von zwei Juden, die über den Krieg Russlands mit der NATO reden. Moskau habe bereits 70.000 Mann verloren, sagt der eine. „Und die NATO?“, fragt der andere. „Die ist noch gar nicht da.“
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