Kurz danach hielt das politische London wieder den Atem an, als Tory-Veteran David Davis, Brexit-Minister unter Theresa May, im Parlament an Johnson gerichtet den Aufruf eines Kritikers von Premier Neville Chamberlain 1940 zitierte: "Im Namen Gottes, gehen Sie!"
Streit in der eigenen Partei
Hinter den Kulissen war da laut Berichten schon von mindestens 30 Tory-Rebellen die Rede, darunter auch mehr als zehn jüngere Mandatare, die sich in einer Revolte gegen ihren Chef stellen wollten. Brisant dabei: Diese Gruppe kam, oft in ehemaligen Labour-Hochburgen, erst dank Johnsons fulminantem Wahlsieg 2019 ins Unterhaus. Insgesamt rund 20 solcher relativer Neulinge, mit einem Durchschnittsalter von 34 Jahren, trafen sich am Dienstag im Büro von Alicia Kearns, die Johnsons Brexit-Abkommen noch mit einem "Thank you, Boss" gefeiert hatte. Ihr Wahlkreis um den Ort Melton Mowbray ist für Fleisch-Pasteten bekannt. Von "Pork Pie-Putsch" und Verschwörung handelten deshalb die Schlagzeilen am Tag danach.
Auch andere Tories seien dem Ruf nach Veränderung nahe, also könne die magische Marke von 54 jederzeit erreicht werden, auch wenn "die Situation volatil und unvorhersehbar ist", berichtete das Nachrichtenportal Politico. Laut Times haben 58 Tory-Abgeordnete Johnson öffentlich kritisiert. "Seine Zeit ist abgelaufen", sagte ein ungenannter Parlamentarier dem Telegraph. Weil aber Timing alles ist, überlegte so mancher Kritiker, mit Misstrauensbriefen noch bis zur Veröffentlichung des Partygate-Untersuchungsberichts abzuwarten.
Anonyme Kabinettsmitglieder nannten die Rebellen undankbare "Narren" und "verdammte Niemande", was manche erst recht zum Einreichen von Briefen animiert haben soll. "Für die meisten von uns war das der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat", sagte ein anonymer Rebell dem Telegraph. Andere warteten Johnsons Showdown mit Labour-Chef Keir Starmer in der Unterhaus-Fragestunde am Mittwoch ab, wo sich Johnson kampfeslustig gab, aber dann die Davis-Attacke über sich ergehen lassen musste.
Der Telegraph warnte allerdings vor dem Erzwingen einer Abstimmung über Johnson vor dem Sommer, weil es keinen klaren Favoriten für die Nachfolge gebe und Anwärter wie Außenministerin Liz Truss oder Finanzminister Rishi Sunak noch keine richtigen Teams für eine Schlacht um die Parteispitze hätten: "Sie würden viel lieber warten bis es die Parlamentspause erlaubt, Tagespolitik beiseite zu legen."
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