Schottland will weg von London: „Unabhängigkeit so sicher wie nie“
Nicola Sturgeon sucht Streit. Auf eine direkte Attacke gegen die Regierung in London und Premierminister Boris Johnson verzichtet die schottische Regierungschefin derzeit bei keinem Thema. Selbst wenn es um Corona-Prämien für Schottlands Krankenpfleger geht, bekommt London die Rolle des Bösen zugewiesen.
„Wir wollen nichts mehr von euch“, erklärte sie auf dem gerade stattfindenden Parteitag ihrer schottischen Nationalisten der SNP, „nur eines, nehmt unseren Helden keinen Penny von dem weg, was ihnen Schottland als Dank gibt“.
Großes Pathos für eine eigentlich technische Steuerfrage. Doch Pathos ist das, worauf die SNP jetzt setzt. Im kommenden Frühjahr wird in Schottland das Regionalparlament neu gewählt, und Sturgeons Partei steuert erneut auf einen klaren Sieg zu – mit einem zentralen Wahlversprechen: ein weiteres Referendum über Schottlands Unabhängigkeit. Die sei nämlich, so Sturgeon, „so nahe wie nie“.
Umdenken nach Brexit
Sechs Jahre ist es her, seit Schottland über diese Unabhängigkeit abgestimmt hat. 2014 stimmte mit 55 Prozent eine klare Mehrheit der Schotten dafür, bei Großbritannien zu bleiben.
Eines der zentralen Argumente für den Verbleib war die politische und wirtschaftliche Unsicherheit, die einem eigenständigen Staat Schottland drohen würde: Man müsse von Neuem über einen Beitritt zur EU verhandeln und es sei unklar, unter welchen Bedingungen der stattfinden könne.
Jetzt aber ist alles anders. In London werden gerade die letzten Punkte des Brexit-Vertrages verhandelt. Zum Jahreswechsel, also in wenigen Wochen, ist Großbritannien – nach Ende der Übergangsfrist – auch praktisch draußen aus der EU.
Mehrheit für Verbleib in EU
Anders als in England gab es in Schottland schon beim Brexit-Referendum 2016 eine klare Mehrheit für den Verbleib in der EU. Diese Haltung hat sich laut Umfragen seither nur noch verstärkt. Für Sturgeon ist das Unabhängigkeits-Referendum, das sie anpeilt, also auch eine Abstimmung über die EU-Mitgliedschaft Schottlands.
Die Regierungschefin setzt daher auf Unterstützung aus den anderen EU-Staaten und wandte sich auf dem Parteitag direkt an diese: „An die anderen Länder der EU: Schottland will zurückkehren. Wir hoffen, dies bald als unabhängiger Mitgliedstaat tun zu können.“
Doch weder in Brüssel noch in den EU-Hauptstädten stößt der schottische Appell auf großes Echo. Ein schneller und unkomplizierter EU-Beitritt Schottlands könnte Separatisten in anderen europäischen Regionen Auftrieb geben.
London blockt ab
Gar nichts hören will man von einem Referendum in London. Dort steht die konservative Regierung auf dem Standpunkt, die Schotten hätten ihre Chance 2014 gehabt und könnten bestenfalls in einer Generation wieder vorstellig werden. Und ohne Londons Erlaubnis kann die Regierung in Edinburgh zwar ein Referendum abhalten, Rechtsgültigkeit aber hat es keine.
Die SNP zeigt sich trotzdem wild entschlossen, es nach den Wahlen durchzuführen. Wenn London das ignoriere, so ein führendes Parteimitglied, „ist das nichts als ein Versuch, uns die Demokratie zu verweigern“.
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