Beide setzen auf Volksnähe - mit unterschiedlichem Erfolg
Vance studierte an der Elite-Universität Yale und arbeitete einige Jahre als Finanzinvestor. Trotzdem versucht er sich als Mann des Volkes zu geben - oftmals vergeblich.
So ging etwa ein Video viral, in dem Vance bei einem Wahlkampf-Besuch größte Probleme hatte, eine Konversation mit Mitarbeitern einer Donut-Bäckerei aufrecht zu halten. Unter anderem antwortet er darin auf die Frage, was er gerne hätte: "Was auch immer am meisten Sinn macht."
Der gelernte Lehrer und Football-Coach Walz repräsentiert dagegen Umfragen zufolge einen Typus, mit dem abends viele US-Bürger anstandslos einen Drink an der Bar nehmen und über Gott und die Welt reden würden.
Walz hat zudem die in diesem Wahlkampf am häufigsten benutze Vokabel links der Mitte geprägt: „weird”, was so viel wie "merkwürdig" oder "seltsam" bedeutet.
Der Kontrast markiert den wohl wichtigsten Grund, warum Vance mit deutlich schlechteren Beliebtheitswerten am Dienstagabend in New York (drei Uhr morgens in Europa am Mittwoch) beim Sender CBS in den 90-minütigen Schlagabtausch geht. Ob Walz aus dem Startvorteil Kapital schlagen wird, ist noch offen.
Rahmenbedingungen der Debatte: Beide Mikrofone bleiben an
Für beide ist es eine Premiere. Für beide steht wegen des Kopf-an-Kopf-Rennens von Harris und Trump in den Umfragen viel auf dem Spiel. Auch weil es, wenn Trump es sich nicht doch noch anders überlegt, die letzte Top-Debatte vor der Wahl am 5. November sein wird.
Im Kern steht die Frage: Wer hat den effektiveren Botschafter für die heiß umworbenen Mittelschichts-Wähler/-innen in den umkämpften Rostgürtel-Staaten Michigan, Wisconsin und Pennsylvania ausgewählt?
Die Männer-Runde, der kein Studio-Publikum applaudieren wird, steht unter weiblichem Management. Norah O`Donnell und Margaret Brennan gehören zu den besten TV-Journalistinnen in den USA. Anders als zuletzt bei Trump/Harris bleiben die Mikrofone beider Duellanten durchwegs scharf gestellt. Zwischenrufe sind also vorprogrammiert.
Vances frühere Trump-Kritik dürfte viel Raum einnehmen
Vance wird sich darauf gefasst machen müssen, auf frühere Aussagen angesprochen zu werden. 2016 hatte er seinen heutigen Boss Donald Trump als „kulturelles Heroin” und „Amerikas Hitler” verbellt.
Noch 2020, so haben an die Washington Post durchgesickerte SMS gezeigt, ging Vance mit Trump hart ins Gericht und prophezeite dessen Abwahl: „Er hat es einfach nicht geschafft, seinen Wirtschaftspopulismus umzusetzen.”
Die radikale Wende zum loyalen Getreuen, der den Ex-Präsidenten gegen jede Attacke in Schutz nimmt, wird ihm bis heute in konservativen Kreisen nicht vollständig abgenommen.
Vance hat zudem das Talent, sich mit polarisierenden Bemerkungen angreifbar zu machen. Seine Lästerei über „kinderlose Katzenfrauen”, die angeblich bei den Demokraten bestimmten, was Sache ist, hängt ihm seit seiner Nominierung auf dem Parteitag im Juli in Milwaukee nach.
Erfundene Geschichte über Tiere-essende Migranten
Gegen die Stand-Direktive für Vize-Präsidentschaftskandidaten, nur keinen Schaden anzurichten, verstieß Vance auch mit der bis dato größten Lügen-Geschichte dieses Wahlkampfs: Er war es, der die Mär von den Haustiere verzehrenden haitianischen Flüchtlingen in einer Kleinstadt in Ohio medial am Kochen hielt; selbst dann noch, als die örtliche Polizei, der Bürgermeister und der Gouverneur die Fremdenhass erzeugende Schauergeschichte als „fake” enttarnten.
Als der Druck zu groß wurde, gab Vance vor laufender Kamera zu, die Geschichte quasi erfunden zu haben, um auf das Problem der illegalen Einwanderung hinzuweisen.
Tim Walz nahm den Ball sofort auf. Er sagte, es sei töricht und gefährlich, „Geschichten zu erfinden, um Angst zu verbreiten und so Unterstützer zu mobilisieren“. Seine These: Trump/Vance wollten mit dem Thema vorbereiten, was Trump zu seinem Ziel im Falle eines Wahlsieges erklärt hat: die Abschiebung von über zehn Millionen illegalen Einwanderern.
Walz, empathisch, volksnah, umgänglich, kann hart debattieren. Kontrahenten mit Häme zu überschütten und zu erniedrigen, geht dem 60-Jährigen ab. „Tim ist ein Mann des Zentrums, einer, der moderieren, vereinen und dabei lächeln kann”, sagen ehemalige Kongress-Mitarbeiter in Washington.
J.D. Vance wird trotzdem mit aller Macht versuchen, sein Gegenüber als linksradikal abzustempeln und mit allerlei Boshaftigkeiten in Sippenhaft zu nehmen für die Regierungspolitik von Joe Biden und dessen Vize-Präsidentin Kamala Harris. Ob die Herrschaften danach gemeinsam eine Dose Mountain Dew löschen? Darauf sollte man besser nicht wetten.
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