Nur: In Brüssel stellen sich da alle quer. Viele rechnen eher mit Gesprächen, die mehrere Jahre dauern, da die Ukraine in vielen Bereichen – allen voran die Agrarwirtschaft, in der das Land ja ein globaler Player ist, oder bei den milliardenschweren Strukturförderungen – den Rahmen der EU sprengen würde. EU-Chefdiplomat Josep Borrell sagte zuletzt nicht umsonst, dass alle 27 EU-Mitgliedstaaten auf einen Schlag Nettozahler würden, wenn die Ukraine jetzt beitritt.
Ukraine als Türöffner für den Westbalkan
Die "volle Mitgliedschaft", von der Schmyhal spricht, ist ein herber Seitenhieb für die sogenannte graduelle Integration - eine Idee, die Österreich, Deutschland und Frankreich propagieren. Sie würde der Ukraine eine Mitgliedschaft in vielen, aber nicht allen Bereichen der EU ermöglichen – die Kohäsionspolitik zum Ausgleich wirtschaftlicher Ungleichheiten in der Union, die etwa ein Drittel des EU-Budgets einnimmt, wäre etwa zunächst ausgenommen. Schallenberg kann die Ablehnung aus Kiew nicht nachvollziehen: "Das ist für mich ein Missverständnis", sagt er. Diese Art der graduellen Mitgliedschaft sei "kein Warteraum" für die Ukraine, sondern solle im Gegenteil verhindern, dass der Beitrittsprozess sich ewig in die Länge ziehe. "Das Fernziel Vollmitgliedschaft wird dadurch ja nicht infrage gestellt."
Auch den anderen Anwärtern, den Westbalkan-Staaten, die ja tatsächlich seit Jahren im EU-Warteraum sitzen, wäre damit geholfen, argumentiert er. Auch für sie wäre eine graduelle Integration eine Option. Zudem würde der Mechanismus verhindern, dass sich Russland in dieser Region noch weiter politisch und ideologisch ausbreitet, als es das jetzt schon tut: In Serbien sei mittlerweile eine Mehrheit gegen den EU-Beitritt - Moskau am Westbalkan einfach weiter machen zu lassen, wäre darum das "größte geopolitischer Eigentor", das sich die EU derzeit schießen könne, sagt Schallenberg.
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Debatte über Sicherheitszusagen
Nicht ganz abgeschlossen aus österreichischer Sicht ist auch die EU-interne Debatte über die Sicherheitszusagen, die Brüssel der Ukraine etwa mit konstanten Waffenlieferungen geben will. "Wir müssen an die Zeit nach dem Krieg denken", sagt Schallenberg, und man brauche auch Sicherheitsgarantien, aber eine militärische Beistandspflicht wie etwa bei der NATO mit Artikel 5 dürfe daraus nicht werden. Aus eben diesem Grund hatte Österreich im Juni gemeinsam mit Irland, Malta und Zypern, die ebenso neutral sind, die von Brüssel geplanten Zusagen per Veto verhindert.
Druck für konkrete Zusagen bis hin zu militärischen Beistandszusicherungen für den Fall eines Angriffs kamen bisher immer aus den östlichen EU-Staaten, allen voran auch Polen. Zuletzt haben sich Warschau und Kiew aber zunehmend entfremdet, weil Polen, Ungarn und die Slowakei sich weigern, ukrainisches Getreide auf den heimischen Markt zu lassen - zum Schutz der eigenen Landwirte. Der jüngste Höhepunkt des Streits: Kiew will vor der WTO klagen, Warschau quittierte das mit einem - zwischenzeitlich wieder aufgehobenen - Ende der Waffenlieferungen.
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Dass nun ausgerechnet Polens Außenminister Zbigniew Rau nicht beim Treffen in der ukrainischen Hauptstadt dabei sein wird – offiziell wegen einer Covid-Erkrankung -, sorgt deshalb bei Beobachtern für ein wenig Kopfschütteln. Weniger Verwunderung löst aber das Fernbleiben des Ungarn Peter Szijjarto aus. Dessen Regierung hatte schon immer ein zwiespältiges Verhältnis zu Kiew - wegen ihrer nach wie vor großen Nähe zu Moskau.
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