ORF-Korrespondenten: „Russland entwickelt sich immer mehr zu einer Blackbox“

ORF-Korrespondenten: „Russland entwickelt sich immer mehr zu einer Blackbox“
Seit dem 24. Februar 2022 waren ihre Gesichter dauerpräsent. Nun kehren die ORF-Korrespondenten Miriam Beller und Paul Krisai zurück – haben ein Buch über ihr Leben vor und abseits der Kamera geschrieben.

Es sei „kein Abschied auf ewig“, sagen Miriam Beller und Paul Krisai – aber einer, der nach mehr als eineinhalb Jahren in einem kriegsführenden Land nötig geworden ist: Die ORF-Korrespondenten kehren Anfang Oktober nach Wien zurück, über ihre Recherchen zwischen Moskau bis Wladiwostok und ihr Leben abseits der Kameras haben die beiden ein Buch geschrieben. Im KURIER-Zoom-Interview erzählen sie, wie die Angst vor dem Staat den Menschen in Russland sogar das Dating-Leben verpfuscht, warum der Krieg für viele trotz voller Soldatenfriedhöfe weit weg ist und welche Hoffnungen sie für Russland haben.

Bodenschätze in der Ukraine: Ein Grund für den Krieg, über den kaum jemand spricht

KURIER: Sie berichten aus einem Staat, der immer autoritärer wird, der Kritiker verhaftet und Journalisten bestraft, wenn sie die Invasion der Ukraine „Krieg“ nennen. Auch in Ihrem Buch beschreiben Sie FSB-Befragungen und ominöse Anrufe der Polizei. Wie frei können wir jetzt reden, via Zoom?

Paul Krisai: Es gibt zwar niemanden, der – wie in Sowjetzeiten – irgendwo sitzt und zuhört, oder einen Zensor, der bestimmt, was gesagt werden darf. Aber die Zensur funktioniert viel perfider: Man hat derart repressive Gesetze erlassen, dass eine Art Selbstzensur herrscht – nicht nur unter Journalisten, sondern bei allen. Hier, bei unserem Gespräch, reden wir völlig offen – auch unsere Rückkehr erleichtert das.

Wie schwierig ist es, unter diesen Bedingungen ein realistisches Stimmungsbild zu vermitteln? Bei Interviews weiß man ja nie, ob eine Person ehrlich oder aus Opportunismus oder gar Angst antwortet.

Miriam Beller: Das ist tatsächlich sehr schwierig. Aber wir machen transparent, dass einem die Leute auf der Straße vielleicht nicht mehr ehrlich antworten, und dass wir auch oft keine Interviewpartnerinnen mehr finden, die noch vor Ort sind. Das zeichnet ein gutes Bild vom Zustand des Landes.

Paul Krisai: Russland entwickelt sich immer mehr zu einer Blackbox. In den letzten eineinhalb Jahren kehren Verhaltensmuster aus Sowjetzeiten wieder: Dinge werden verschleiert, nicht mehr direkt gesagt, offizielle Erklärungen muss man ohnehin mit großer Vorsicht genießen.

In der Sowjetzeit gab es die Küchengespräche – nach außen war man systemkonform, zu Hause wurde über die Machthaber geschimpft. Gibt es diese minimale Form des Widerstands wieder?

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