Rund um das Begräbnis des Wagner-Chefs in St. Petersburg gab es ein abstruses Verwirrspiel, der Akt selbst wurde von unzähligen Sicherheitskräften abgeschirmt. Dahinter steckt Putin - der Personenkult um den Wagner-Chef lebt dennoch weiter.
Wo wird er nur begraben? Das Verwirrspiel in Jewgenij Prigoschins Heimatstadt St. Petersburg wirkte fast absurd. Bei gleich mehreren Friedhöfen der Stadt – und Petersburg ist groß, es hat knapp sechs Millionen Einwohner – wurden Zugänge abgesperrt und Polizisten postiert, jede ihrer Bewegungen wurde auf Social Media genauestens dokumentiert, und Journalisten hetzten von Ort zu Ort.
Dennoch war bis Dienstagabend nicht klar, wo der verstorbene Wagner-Chef seine letzte Ruhe finden würde. Sein eigener Pressedienst war es, der dann Licht ins Dunkel brachte: Er wurde in aller Stille am Prochowskij-Friedhof beigesetzt. Dort, wo auch sein Vater begraben ist, zugegen waren nur die engsten Verwandten.
Warum die Heimlichtuerei? Dem Chef der Wagner-Truppe, der ja auch den von Putin höchstselbst verliehenen Orden Held Russlands trug, hätte eigentlich eine Bestattung mit militärischen Ehren gebührt. Nur: Zu diesem Heldentum passte die Meuterei nicht, die Prigoschins Schicksal besiegelt haben dürfte. Sein einstiger Gönner Putin sprach damals von „Verrätern“, denen nicht verziehen werde; zuletzt sprach er nur mehr distanziert vom „erfolgreichen Geschäftsmann“ Prigoschin, der zufälligerweise mitsamt seiner Führungsriege bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen war.
Dass der Kreml auch die bestinformierten Journalisten des Landes mit dem Begräbnis in die Irre geführt hat, dass er geschafft hat, Prigoschins Familie zum Schweigen zu bringen – weder seine Frau noch seine Tochter sagten irgendetwas zum Tod des Söldnerführers -, all das gleicht einer kleinen Meisterleistung. „Die letzte Etappe einer Spezialoperation zu seiner Beseitigung“, nennt es die bestens vernetzte Politanalystin Tatjana Stanowaja. „Unzuverlässige“ habe man bei der Beisetzung und deren Vorbereitung nicht zugelassen. So will man keine Heldenverehrung, keine Mystifizierung Prigoschins möglich machen.
Allein: Die ist ohnehin schon passiert, und die Heimlichtuerei hat den Fokus nicht gerade weg von Prigoschin gelenkt. In Social-Media-Foren wird der Verstorbene als „der zweite Nelson Mandela“ gefeiert, dazu wird ein Foto von ihm in Afrika gepostet. Ein Nutzer schreibt: „Für jede russische Familie ist und bleibt er Onkel Schenja.“ Er habe seine Soldaten geschützt, Kritik an richtiger Stelle deponiert. Dass der Kreml ihn am Gewissen haben könnte - westliche Geheimdienste gehen davon aus, ein Sprengsatz an Bord war -, das liest man nicht. Ob es gemutmaßt wird, bleibt offen – wer es offen sagen würde, dem würde Strafe drohen.
Gottgleich
Was mit seinen Männern wird, ist ebenso unklar wie die Hintergründe des Absturzes; Moskau verweigert ja eine Untersuchung nach internationalen Standards. Stanowaja glaubt jedoch nicht, dass sein Imperium seinen ehemaligen Chef überleben wird: „Es wird keine Verstaatlichung von Wagner, sondern eine schrittweise Defragmentierung und Neutralisierung geben.“
Geld, um eigenständig zu agieren, hat das Unternehmen wohl ohnehin keines mehr. Nach dem Marsch auf Moskau hat sich der Kreml Zugriff auf die Wagner-Reichtümer gesichert, nach Prigoschins Tod mussten seine Gefolgsleute auch die Zugangscodes für ihre Kryptowährungs-Accounts abgeben.
Den Mythos um Prigoschin wird man damit aber nicht beerdigen. Auf seinem Grab findet sich eine Textzeile aus Josif Brodskijs Gedicht „Stillleben“, in dem Gottesmutter Maria ihren Sohn Jesus fragt, ob er denn ihr Sohn oder ihr Gott sei - und ob er tot oder lebendig sei. Jesus‘ Antwort: Sohn oder Gott, tot oder lebendig, das mache „keinen Unterschied“. Fans Prigoschins sehen das auch so.
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