Prigoschin-Tod: "Niemand darf die Unberührbarkeit Putins infrage stellen"
Heute, um 11 Uhr, übernimmt Brigadier Philipp Eder das Militärkommando Kärnten nach fast 11 Jahren von Brigadier Walter Gitschthaler.
Mit dem KURIER sprach der Militärstratege und ausgewiesene Ukraine-Experte über den Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin, die Gedankenwelt Wladimir Putins, aber auch den immer schwierigeren Balanceakt zwischen militärischer Landesverteidigung und Assistenzeinsätzen.
Herr Brigadier, nach dem Tod von Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin fragt sich die Welt: Steckt Wladimir Putin dahinter?
Philipp Eder: Es ist nicht erwiesen, dass es sich um einen gewollt initiierten Absturz handelt, auch wenn der Verdacht nahe liegt. Viele Experten sagen, dass war die Rache Putins. Es ist alles noch sehr früh. Man könnte auch sagen, ohne dass ich Verschwörungstheoreien anhänge, dass er seinen Tod fingiert hat, um abzutauchen, oder zu verschwinden. Die ganze Geschichte um Prigoschin ist, beginnend von seiner Meuterei an, dubios.
War der Tod Prigoschins für sie persönlich vorhersehbar?
Das Archiv ist der Schatz des Journalisten, oder? Ja, ich habe in einem früheren Interview bereits einmal gesagt, dass ich 2 Möglichkeiten sehe: Entweder Prigoschin geht ins Exil und wird unbedeutend. Oder er geht ins Exil und wird einen Unfall haben. Diese Erstanalyse dürfte gestimmt haben. Jemand, der Putin so exponiert, fällt entweder aus dem Fenster, oder wird Opfer eines Flugzeugabsturzes.
Der Tod von Prigoschin wäre, gerade nach der gescheiterten Mondmission doch der Erfolg, den Putin so dringend brauchen würde, oder?
So lange diese Art von Regime an der Macht ist, glaube ich nicht, dass für uns jemals klar wird, was wirklich passiert ist. Prigoschin hat immer zum Ausdruck gebracht, dass es ihm nicht darum geht, Putin zu stürzen. Sondern die aus seiner Sicht völlig inkompetente Armeeführung auszutauschen.
Es gab die Meuterei Wagners, dann die Umkehr. Was der Plan dahinter war, ist unklar. Für mich habe ich immer beurteilt, dass Prigoschin ein Hitzkopf und kein Stratege ist, dem es schlicht gereicht hat, als er zu wenig Unterstützung in Bachmut erhalten hat. Aber für Putin war es ein Gesichtsverlust. Die Unantastbarkeit des russischen Präsidenten ist erschüttert worden. Ich glaube fast, dass Prigoschin gar nicht wusste, was er damit auslöst.
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Das ist alles natürlich sehr spekulativ, aber dass man auf diese Art und Weise einen illoyalen Führer einer dubiosen, privaten Militärgruppe entsorgt, wäre nahe liegend. Aber dies als Erfolg zu bezeichnen? Das System denkt anders. Niemand darf die Unberührbarkeit Putins infrage stellen. Die rote Linie für Putin war, dass Prigoschin ihn als Person durch seine Meuterei schwächer erscheinen hat lassen und offen gelegt hat, dass er eben nicht alles unter Kontrolle hat.
Welche Auswirkungen wird dies auf die Wagner-Gruppe haben und wer übernimmt nun die Führung?
Die Konsequenzen werden sein, dass die Wagner-Gruppe - vielleicht unter anderem Namen - aufrecht bleibt, aber eine Kreml- bzw. Putin treue Führung bekommen wird. Weil sie in den letzten Jahren dem Regime treue und wertvolle Arbeit geleistet hat. Die Frage wird sein: Wie loyal sind die Söldner der Person Prigoschin gegenüber, oder wie sehr ist Geld eine Motivation.
Wagner gilt als einer der einflussreichsten Faktoren in Afrika. Welche Perspektiven zeichnen sich hierfür ab?
Das Eigenartige an der Entwicklung bei Wagner ist, dass lange im Auftrag Russlands Aufgaben in Libyen, Syrien oder Mali erledigt wurden, ohne es zugegeben. Weil man verschleiern wollte, dass Russland dahinter steckt. Das wird auch weiter so sein. Man will auf eine Truppe, die im Graubereich des Völkerrechts agiert, nicht verzichten.
Wird der Tod Prigoschins Auswirkungen auf die Strategie im Ukraine-Krieg haben?
Das glaube ich nicht. Denn militärisch betrachtet, hat die Wagner-Gruppe Schwächen der russischen Streitkräfte kompensiert. Seit Bachmut gefallen ist, hat Wagner in der Ukraine überhaupt keine Rolle mehr gespielt. Dann kam die Meuterei und in weiterer Folge der Deal, oder wie man es nennen will, dass Wagner von Weißrussland aus agiert. Somit war das für die Ukraine ein zu beobachtender Faktor, aber nichts, was für den Kriegsverlauf in der Ukraine in den letzten 2 bis 3 Monaten eine Rolle gespielt hätte.
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Kommen wir von der Ukraine nach Kärnten, wo sie heute die Führung des Militärkommandos Kärnten von Brigadier Walter Gitschthaler übernehmen. Was zieht eine gebürtigen Burgenländer nach Kärnten?
Ich habe die ersten 3 Tage meines Lebens im Burgenland verbracht (lacht). Grundsätzlich würde ich mich als Niederösterreich bezeichnen, habe aber auch die ersten 9 Jahre meines Lebens in Wien verbracht, war dann in Wiener Neustadt und ein Jahr in Amerika in der Schule.
Aber zu Ihrer Frage: Eine Prämisse beim Bundesheer war bisher für mich, dass ich von Zeit zu Zeit einen anderen Bereich kennenlerne, weil das Bundesheer über eine sehr breite Palette an Möglichkeiten verfügen. Die vergangenen 9 Jahre war ich Abteilungsleiter im Ministerium und mit der Pensionierung von Walter Gitschthaler in Kärnten hat sich nun eine Möglichkeit ergeben. Davon abgesehen, wollte ich wieder Kommandant sein. Kärnten hat sehr viel Militär. Es gibt Infanterie, Pioniere, Führungsunterstützer ets - also sehr viele Möglichkeiten. Ich habe dies mit meiner Frau, einer Klagenfurterin, besprochen und gemeinsam haben wir beschlossen, unseren Lebensmittelpunkt nach Kärnten zu verlegen. Ich persönlich glaube, dass es in Kärnten eine ganz besondere Beziehung des Landes und der Bevölkerungen zum Militär gibt.
Wie würden Sie generell die Beziehung der Bevölkerung zum österreichischen Bundesheer beschreiben?
Es gibt ein wenig ein Widerspruch, zwischen dem, was wir uns als Militärs wünschen würden, und dem was die Bevölkerung sieht.
Wir sehen die militärische Landesverteidigung als unsere Hauptaufgabe. Durch den Angriffskrieg in der Ukraine ist dies noch deutlicher geworden. Aber wie immer im Leben, ist den Menschen das am nächsten, wo sie sich am meisten bedroht fühlen: Katastropheneinsätze, illegale Migration und die Assistenzeinsätze, die das Bundesheer dabei leistet. Hier werden wir sehr geschätzt.
Dabei darf man aber nicht übersehen, dass wir all diese Aufgaben deswegen können, weil wir uns auf einen ganz anderen Ernstfall vorbereiten. Die Struktur, das Denken, die Befehlshierarchie, das ist alles auf Krieg ausgerichtet. Einen Zustand, in dem Chaos herrscht. Wenn wir vorhin genanntes können, ausbilden und üben, können wir es auch bei Assistenzeinsätzen anwenden. Nämlich das Denken im Krisenmodus.
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Der Angriffskrieg auf die Ukraine hat den Stellenwert des Bundesheeres erneut ins Bewusstsein gerufen. Bis 2026 gibt es ein Budget von 16 Milliarden Euro. Für Kärnten sind sogar eigene Hubschrauber vorgesehen. Gibt es dazu genauere Details?
Die Absicht der Frau Bundesminister ist es, den Hubschrauberstütztpunkt am Flughafen Klagenfurt wieder zu beleben. Die Hubschrauber sollen für Katstropheneinsätze und ähnliches hier zur Verfügung stehen. Noch wird geprüft, wie dies genau ausgestaltet wird. Aus militärischer Sicht steht aber fest: Wenn wir reaktionsfähiger werden wollen, dann sind Hubschrauber eine Möglichkeit, Soldaten sehr schnell von A nach B zu bringen. Und der Stützpunkt am Flughafen schafft darüber hinaus die Voraussetzung, im Bedarfsfall mehr Hubschrauber auf einer temporären Basis nach Kärnten zu bringen.
Ist eine Option, mit der Flugpolizei gemeinsam, die seit Jahren in Containern direkt neben dem Bundesheer ihr Dasein fristet, einen neuen Stützpunkt zu etablieren?
Das muss man prüfen. Die Planung, auch was die Infrastruktur betrifft, sind alle noch im Laufen. Aber rein aus Kärntner Sicht: Umso mehr Militär, umso mehr Gerät nach Kärnten kommt, umso lieber ist mir das. Entscheidend ist auch, wie sich die sicherheitspolitische Lage entwickelt. Kommendes Jahr haben wir Präsidentschaftswahlen in Amerika, auch Österreich wählt - es ist so viel im Fluss. Die Weltordnung, die wir kannten, hat Putin mit dem 24. Februar komplett über Bord geworfen. Alle vertrauensbildenden Maßnahmen, die es seit den 70-iger Jahren zwischen dem Westen und Russland gegeben hat, sind zertrümmert. Ich bin eher pessimistisch, dass die Sicherheitslage besser wird. Inwieweit sich dies auf Österreich auswirkt, muss man sich anschauen. Das wird natürlich Auswirkungen auf Kärnten und das Militär in Kärnten haben.
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Wenn wir schon den Blick in die Zukunft richten: Wie sehr fordert der Klimawandel das Bundesheer, Stichwort Assistenzeinsätze?
Das ist ein Spannungsfeld für uns als Militär. Einerseits werden die Klimakatastrophen nicht verschwinden. Das ist ein wichtiges Thema. Für das Militär und die Kärntner Bevölkerung. Auf der anderen Seite haben wir die Aufgabe, uns auf die militärische Landesverteidigung vorzubereiten. Die Rekruten, die wir dafür zur Verfügung haben, sind nur für 6 Monate bei uns. Wenn von diesen 6 Monaten, ein Teil im Assistenzeinsatz verbracht wird, können sie weniger für die militärische Landesverteidigung ausgebildet werden.
Dies wirkt sich wieder auf die Miliz aus. Gelöst soll dies durch vermehrt Kaderpersonal im Assistenzeinsatz werden, aber hier hat man nur einen sehr beschränkten Personalpool. Unsere Aufgabe ist es, als Militär nicht komplett auszubluten und unsere Kompetenzen im militärischen Bereich nicht komplett zu verlieren.
Eine schwierige Aufgabe?
Eine sehr schwierige Aufgabe. Mit einer sehr politischen Komponente. Wir können Ratschläge geben, aber im Endeffekt entscheidet die Politik und das ist dann auch zur Kenntnis zu nehmen.
Sie übernehmen nach fast 11 Jahren das Kommando von Brigadier Gitschthaler. Wie groß sind die Fußstapfen, in die sie treten?
Absolut groß. Seine Handschlagqualität wurde mehrfach gelobt und er hinterlässt ein gut bestelltes Haus. Für mich als Neuankömmling ist das Ziel, mir zuerst einen gesamtheitlichen Überblick zu verschaffen. Ich komme sicher nicht her, weiß alles besser und drehe sofort alles um.
Ich verschaffe mir nun zunächst einen Überblick, das wird eine Zeit dauern. Aber es gibt immer Bereiche, in denen man sich weiterentwickeln muss, weil die Welt sich weiterdreht. Das werde ich gemeinsam mit dem Stab bewerten. Der Vorteil ist, dass ich den Blick von Außen bringe und vielleicht ein wenig frischen Wind. Meine Beziehung nach Wien werde ich zum Wohle Kärntens sicher nützen.
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