Große Klimakrise im Kleinen: Ganzer Kärntner Ort soll abgesiedelt werden
Manchmal braucht es das Kleine, um das Große zu verstehen.
Zehn kleine Punkte stehen am linken Ufer der Drau in Kärnten und werden umso größer, umso näher die gigantische 50-Tonnen-Fähre des Pionierbataillons 1 rückt.
Kleine Menschen-Punkte, die wissen, was es bedeutet in einem 70-Einwohner-Ort zu leben, der seit Jahren so sehr von der Klimakrise und ihren Folgen wie Hangrutschungen, Felsstürzen oder heftigen Unwettern in Mitleidenschaft gezogen wird, dass der Lokalpolitik nur mehr eine Lösung einzufallen scheint: Absiedelung.
Guntschach heißt der Ort, gute 30 Minuten entfernt von Klagenfurt, in der Nähe von Maria Rain in Unterkärnten. Dem Epizentrum jener Unwetter, die seit Donnerstag vergangener Woche die Einsatzkräfte fordern und Schäden im dreistelligen Millionenbereich angerichtet haben.
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Guntschach, dessen sind sich Klimaexperten einig, könnte mit zunehmenden Wetterextremen bald überall dort sein, wo sich die Frage stellt: Zahlen sich Millioneninvestitionen in Hochwasserschutz aus? Oder gibt man Ortschaften auf?
Aufgegeben wird von den Männern und Frauen in grüner Uniform, die flussabwärts in Rottenstein Stellung bezogen haben, gar nichts. Seit drei Tagen stehen die Soldaten des Pionierbataillons 1 aus Villach im Dauereinsatz. Es gilt eine 50-Tonnen-Fähre zusammenzubauen. "Man kann sich das wie Legospielen für Große vorstellen", sagt Vizeleutnant Joachim Lindner, Kommandant des Wasserzuges der Pioniere.
Dass der Wassereinsatz so gefragt sei wie im Moment, daran kann er sich in seiner militärischen Laufbahn nicht erinnern, sagt der 53-Jährige.
Lego spielen mit 500 PS
Die "Legosteine" - 8 Halbponton, 24 Rampenträger, 60 Hauptträger, 2 Schubboote mit je 250 PS - sitzen. Alles ist angerichtet für den mehr als 20 Tonnen schweren Bagger, der nun auf die 50 Tonnen Fähre auffährt.
Er wird in Guntschach benötigt, um eine Straße von der Drau für die Gerätschaften der Lawinen- und Wildbachverbauung zu errichten, die zur Schadensbekämpfung anrücken. Zusätzlich wurden am Freitag zwei Rollstraßen verlegt, damit die Guntschacher ab Samstagmittag ihre Autos auf die andere Seite der Drau stellen und diese benützen können.
Alles sehr technisch und keine leichte Aufgabe. Denn bereits der Weg zu Wasser von Rottenstein nach Guntschach hat seine Tücken.
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Lotsystem gegen Sandbänke
"Durch die Hangrutschungen und Bäume, die sich in der Drau befinden, haben wir Untiefen, die man nie erwarten würde", erzählt Vizeleutnant Herbert Sulzer, seines Zeichens Zugskommandant der Bau-Pioniere des Militärkommandos Kärnten.
Darum sind neben der 50 Tonnen Fähre an diesem Tag auch noch zwei Boote mit dabei, die ausloten, ob die Fähre nicht Gefahr läuft aufzusitzen und zugleich Bojen setzen, sowie ein Rettungsboot für den Ernstfall.
50-Tonnen-Fähre nach Guntschach
Jeder Handgriff der Pioniere sitzt, verdeutlicht aber auch den Aufwand, der nötig ist, um das Selbstverständliche zu ermöglichen: Einen Weg zur Außenwelt.
Seit 8 Monaten Ausnahmezustand
Den sucht Guntschach in Wahrheit seit acht Monaten. Im Dezember 2022 zerstörte ein Felssturz die einzige Straße, die von Guntschach raus, aber auch wider rein führte. Die Lösung damals: Ein Notweg.
Doch genau diesen Notweg haben die Unwetter von vergangener Woche nun ebenfalls zerstört. In Form von Hangrutschungen an fünf bis sechs Stellen. Bliebe theoretisch eine kleine Fähre zwischen Guntschach und Glainach. Wasserweg in Luftlinie: 100 Meter.
Die Straße nach Guntschach
Doch diese Fähre darf nicht verkehren, da zu viel Treibgut in der Drau schwimmt, das zur Gefahr werden könnte. Und so ermöglicht vorerst ein Pionierboot den Weg von Guntschach zum Rest der Welt.
Alte, neue Straße bis Mitte Dezember
Der weitere Plan: Der zerstörte Notweg soll nicht mehr errichtet werden, dafür die ursprüngliche Straße. Fertigstellungsdatum: 15. Dezember.
"Ja, genau. Daran glaubt bei uns niemand mehr", sagt Christian Webernig, einer der bis vor kurzem noch 10 kleinen Punkte am Drauufer, der mittlerweile in Lebensgröße neben einem steht.
Die anderen 9 Punkte nicken zustimmend, während der Bagger bereits von der Fähre auf Guntschacher-Boden rollt. "Nachdems bei uns wenig Aufregendes zu sehen gibt, sind wir jetzt da und schauen Bagger", sagt der Mann neben Webernig.
Neben Neugierde begegnet einem am linken Ufer der Drau vor allem eines: Verzweiflung, Wut, Auswegslosigkeit. "Wir haben sie immer gewarnt, dass so etwas passieren kann, doch wir wurden ignoriert und jetzt haben wir das Dilemma", sagt Alexandra, die Frau von Christian. Gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie eine Landwirtschaft in 3. Generation - 14 Rinder, 12 Schafe, Ackerbau.
Wählerstimmen zählen
Mit "sie" ist die Politik gemeint. "Wir sind doch jedem egal. Passiert im Ausland was, dann ist sofort Hilfe da, aber bei uns", sagt Webernig und dann zu den Soldaten: "Ihr eh nicht, ihr seids super. Danke! Wirklich."
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Aber 70 Einwohner, das wären zu wenig Wählerstimmen, befindet die Gruppe unisono. Zählt man die Kinder im Ort weg, bleiben 57 Urnengänger. Denn Kinder gibt es genau 13. Von den Anwesenden werden sie zwei Mal namentlich auf- und nachgezählt.
Eine Kirche, kein Geschäft
Der Frust, er ist groß in dem Ort ohne asphaltierte Straßen und mit einer Kirche als einzige Sehenswürdigkeit. Kein Geschäft, kein Kino, nur Selbstversorgung.
Dass Bürgermeister Franz Ragger (SPÖ) im Frühjahr offenbar das Wort Absiedlung in den Mund genommen hat, macht es nicht besser. "Ich geh hier nicht weg. Das ist meine Heimat und die gib ich nicht auf. Der Bub, der redet die ganze Zeit davon, dass er der nächste Bauer werden will", sagt Alexandra Webernig.
Bürgermeister Ragger war für eine Stellungnahme am Freitag für den KURIER nicht erreichbar. "Bin erst am Montag wieder im Lande", lautet der Text einer erhaltenen SMS nach dem zweiten Anruf.
Ausweichquartiere für Bewohner
Die Gemeinde bietet den Guntschachern als Notlösung bis zur Fertigstellung der Straße im Dezember nun Ausweichquartiere an. Alexandra Webernig will eines annehmen. "Ich habe zwei Kinder, die müssen in die Schule, wie sollen die ohne Straße dorthin kommen?" Sie selbst arbeitet in Klagenfurt. Am Wochende wollen man aber zurück. In die Heimat. Nach Guntschach.
Wünschen würden sich die 10 Menschen am Ufer so rasch wie möglich eine intakte Straße. Und: Ehrlichkeit. "Die sollen uns sagen, was Fakt ist. Wir wollen wissen, was los ist", sagt Patrick Ilgoutz.
Seine Tochter spielt solang lieber im Sand. Sie baut eine Burg. Mit einem tiefen Graben, damit das Wasser nicht hineinfließen kann. Manchmal sind es wirklich die kleinen Dinge.
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