Schallenberg in Washington: "Ihr seid neutral, ohne neutral zu sein"
Die Wertschätzung der amerikanischen Regierung für auswärtige Staatsgäste macht sich nicht selten am hochkarätigen Personal fest, das selbst in Zeiten des Trubels noch ein Zeitfenster im Terminkalender freimacht.
Dass Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) bei seiner nicht einmal zwei Tage umspannenden Blitzvisite in Washington am Dienstag, dem Tag der "Rede zur Lage der Nation" von Präsident Joe Biden, vor dem politischen "Hauptgericht" bei seinem Amtskollegen Tony Blinken in William Burns und Avril Haines rare "Vorspeisen" serviert bekam, ist mehr als eine Fußnote.
Der Chef des Auslandsgeheimdienstes CIA und die oberste Geheimdienst-Koordinatorin werden in Washington bei solchen Arbeitsbesuchen selten aufgeboten. Auch Brett McGurk, der Koordinator des Weißen Hauses für den Mittleren Osten und Nord-Afrika, ist nicht im gängigen Personalstamm der Gesprächspartner.
Österreichs Chef-Diplomat wirkte darum nach seinem Treffen mit Blinken an einer langen, festlich gedeckten Tafel im State Departement erkennbar aufgeräumt, als er am späten Nachmittag zum Medientreff erschien; hinter sich den Obelisken, das Wahrzeichen der Stadt auf der "Mall".
"Einzigartige Führungsrolle"
"Ihr seid neutral, ohne neutral zu sein", zitierte Schallenberg vor laufender Kamera sichtbar zufrieden seinen Gastgeber, der bei den einführenden Begrüßungsworten Österreich als "tief wertgeschätzten Partner” bezeichnet hatte.
Im Anschluss ging das sich dutzende Duo in gut 60 Minuten die um das türkisch-syrische Erdbeben-Desaster erweiterte internationale Agenda durch. Schwerpunkt natürlich: Russland/Ukraine.
Aber auch die in Washington sehr aufmerksam und wohlwollend betrachtete Rolle Wiens bei der versuchten Anbindung des West-Balkans kam zur Sprache und wurde, so der 53-jährige ÖVP-Politiker, "mit Anerkennung gewürdigt".
Blinken sprach von einer "einzigartigen Führungsrolle", die Wien hier einnehme. Der US-Gesandte für den Westbalkan, Gabriel Escobar, nickte.
Stabiler Partner
Auch wenn Österreich keine Militärhilfe leiste, werde in der US-Hauptstadt gesehen, dass „wir gemessen an unserer Wirtschaftskraft humanitär sehr viel tun für die Ukraine”, betonte Schallenberg. Stichwort: 90 000 ukrainische Flüchtlinge aufgenommen, 124 Millionen Euro Unterstützung an Kiew gezahlt. Die USA, so sein Eindruck, schätzten Österreich als „stabilen und starken Partner".
Wie Schallenberg persönlich die Dinge im russischen Krieg gegen die Ukraine sieht, ließ er zuvor bei einer Stippvisite in der renommierten Polit-Kader-Schmiede Johns Hopkins an der Massachusetts Avenue anklingen.
Vor einer kleinen Schar von Studenten und Interessierten redete der Chef-Diplomat von einem „systemischen Wettstreit” und einer „Schlacht der Narrative”, in der sich der Westen mit Moskau befinde. Da „dieser Krieg noch lange weitergehen wird”, komme es darauf an, dass der von Amerika geführte Widerstand "die Einheit bewahrt".
„Strategische” Geduld sei gefragt, der Sinn für das „richtige Augenmaß” müsse geschärft bleiben. Bei allem, was jetzt militärisch und politisch gemacht werde, müsse bedacht werden, dass dies in Europa und darüber hinaus „für Jahrzehnte nachhallen wird”. Sollte die russische Aggression nicht mit vereinten Kräften eingedämmt werden, würden Player wie China und Russland auf den Plan treten, der Einfluss Europas auch in Afrika werde schwinden.
Schallenberg warb dezent dafür, Plattformen des Austausches und des Dialogs „nicht zu killen”; ein Fingerzeig auf die Rolle Österreichs als „Host” der „Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa” (OSZE), in der nicht alle mit der Tatsache einverstanden sind, dass russische Delegierte dazu nötige Einreisevisa bekommen.
Sicherheit in Europa, zitierte Schallenberg den früheren deutschen Außenminister und heutigen Bundespräsidenten Frank Walter-Steinmeier, sei langfristig nur mit, nicht gegen Russland zu haben.
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