Er wird es heute, Dienstag, noch ein letztes Mal tun – und die erste Sitzung des neu gewählten Parlaments eröffnen. Danach sitzt Wolfgang Schäuble nicht mehr als zweitwichtigster Mann im Staat vorne auf dem Platz des Bundestagspräsidenten, sondern wechselt als einfacher Abgeordneter in die hintere Reihe.
Denn das Amt, das er seit 2017 innehatte, steht der größten Fraktion zu. Diese stellt die SPD, die Gesundheitsexpertin Bärbel Bas als seine Nachfolgerin nominiert hat. CDU und CSU kommen nicht zum Zug, da sie die Wahl mit einer historischen Niederlage verloren haben. Es ist auch eine für Schäuble. Nicht nur, dass der 79-Jährige sein bisheriges Amt nicht mehr ausüben kann. Er brachte im April 2021 sein ganzes politisches Gewicht zum Einsatz, um Armin Laschet als Kanzlerkandidaten durchzubringen – Markus Söder hatte das Nachsehen.
Mit seinem Wort für den CDU-Chef und gegen seinen bayerischen Amtskollegen konnte er in der Union sogar Zweifler überzeugen. Nun ist es er, an dem manche zweifeln. Niemand aus der ersten Reihe, aber Jung-Unionisten, die ihn als verdienten, aber wenig zukunftsweisenden Politiker sehen. Jüngst forderten sie, dass er sein Mandat niederlegen soll.
Doch daran denkt Schäuble nicht.
Immer die Nummer zwei
14-mal in Folge hat er das Mandat in seinem Wahlkreis Offenburg in Baden-Württemberg gewonnen – ein Rekord. Wie überhaupt seine Karriere im Bundestag, dem er seit 1972 angehört. In der CDU will der dienstälteste Abgeordnete aber kürzertreten: Er kandidiert nicht mehr für den Vorstand seiner Partei, die er wie kein anderer mitgeprägt hat.
Als Innenminister, zwischenzeitlicher CDU-Vorsitzender, Finanzminister und zuletzt Bundestagspräsident – für die Nummer eins hat es nie gereicht. Dabei galt er einst als Helmut Kohls Kronprinz, bastelte nach dem Fall der Mauer am Vertrag zur deutschen Einheit. Später geriet er in den Strudel der Parteispendenaffäre. Er räumte den Empfang einer nicht verbuchten Summe ein, die er vom Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber erhalten hatte.
Die Affäre erschütterte die CDU und Schäubles Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig beförderte sie die Karriere einer bis dato vielbelächelten Generalsekretärin aus der ehemaligen DDR: Angela Merkel übernahm die CDU.
Das Verhältnis zwischen ihr und Schäuble ist vom Sowohl-als-auch geprägt. Mal lobte er sie, dann fiel er ihr indirekt in den Rücken. Ohne ihren Namen zu nennen, sprach er während der Flüchtlingskrise vom Handeln eines unvorsichtigen Skifahrers, der eine Lawine auslösen könnte. Als es darum ging, einen Deal mit der Türkei auszuhandeln, unterstützte er Merkel wieder. In Zeiten der Pandemie hielt er erneut dagegen. Und konterte den mahnenden Worten der Kanzlerin an die Bevölkerung ("Nehmen Sie es ernst"): "Wenn ich höre, alles andere habe vor dem Schutz von Leben zurückzutreten, dann muss ich sagen: Das ist in dieser Absolutheit nicht richtig."
Immer ein bisschen dagegen halten, aber nie zu viel. Als Bundestagspräsident sah er seine Rolle freier und darin, "ein bisschen distanzierter von der Regierungspolitik" zu sein.
"Solange Kräfte bleiben"
Zuvor schon hatte er kaum eine Gelegenheit ausgelassen, seinen Namen ins Spiel zu bringen, wenn Merkel in der Kritik gestanden war. Als Übergangskanzler wurde er oft tituliert, geworden ist er es nie. Dafür wollte er anderen den Weg dorthin ebnen: seinem Freund Friedrich Merz, der zweimal CDU-Chef werden wollte. Dann Armin Laschet, den er als Kanzlerkandidaten unterstützte. Unter Söder, so wird Schäuble zitiert, drohe der CDU das Schicksal der ÖVP – eine Liste zu werden, die sich einem Mann unterwirft. Wie es sich mit Macht verhält, konnte Schäuble lange beobachten: Mal kam, dann ging sie wieder – als die CDU in die Opposition musste.
Und als er sie sich selbst nach dem Attentat hart zurückerobern musste. 1990 trafen den damals 48-Jährigen zwei Kugeln aus der Pistole eines psychisch kranken Angreifers – Schäuble ist seither vom dritten Brustwirbel an abwärts gelähmt. Mit Disziplin kämpfte er sich zurück an die Spitze der deutschen Politik. Wenige Monate nach dem Attentat nahm er seine Amtsgeschäfte wieder auf.
Jünger
Wenn der 20. Deutsche Bundestag heute zusammenkommt, ist er so jung wie nie. Knapp 30 Prozent sind 40 Jahre oder darunter – 2017 waren es 15 Prozent. Dies hat vor allem mit dem Erstarken von FDP, Grünen und SPD zu tun. Was den Anteil der Frauen angeht, bildet er die Bevölkerung nicht gut ab, der Frauenanteil ist von 31 auf 34 Prozent nur leicht gestiegen.
Diverser
Für die Grünen ziehen erstmals zwei Transfrauen in den Bundestag ein – Tessa Ganserer aus Bayern und Nyke Slawik aus Nordrhein-Westfalen.
735 Abgeordnete
sitzen künftig im Parlament – das sind mehr als vorgesehen. Die gesetzliche Ausgangsgröße liegt bei 598. Grund: sogenannte Überhangmandate. Sie entstehen, wenn eine Partei in einem Bundesland mehr Direktmandate gewinnt, als ihr nach den Zweitstimmen zustehen. Die zusätzlichen Mandate gab es schon bei der ersten Bundestagswahl 1949 – seit der Wiedervereinigung stieg die Zahl vor dem Hintergrund der Veränderungen in der Parteienlandschaft deutlich an.
Als er sich heuer wieder für die Wahl als Abgeordneter aufstellen ließ, begründete er dies mit dem Zuspruch der Menschen. Sollten sie ihn wählen, sei er bereit, weiter Politik zu machen – "solange mir die Kräfte bleiben".
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