Russland-Bericht zurückgehalten: Was hat Johnson zu verbergen?
Hat Russland versucht, das Brexit-Referendum 2016 zu beeinflussen? So, wie der britische Premier Boris Johnson sich verhält, liegt der Verdacht nahe.
Johnson gibt einen Bericht des Sicherheitsausschusses, der sich 18 Monate lang mit dieser Frage beschäftigt hat, nämlich nicht frei. Da das Parlament Dienstagnacht aufgelöst wurde, kann es vor der vorgezogenen Parlamentswahl am 12. Dezember darüber auch nicht mehr beraten.
Das ist brisant, denn es gab verdächtig viele Verbindungen zwischen Russland und Unterstützern der Vote-Leave-Kampagne. Im Zentrum steht der Name Sergej Nalobin. Der russische Diplomat rief das Netzwerk der „Konservativen Freunde Russlands“ ins Leben, in dem vor allem Tory-Mitarbeiter vertreten waren.
Man traf sich 2012 im Garten der russischen Botschaft, unternahm Reisen nach Moskau und St. Petersburg. Matthew Elliot, ein Gründungsmitglied der Russland-Freunde sollte später Organisator der Vote-Leave-Kampagne werden. Auch das Mastermind hinter Vote Leave, Dominic Cummings, zählte zu den Konservativen Freunden.
Ob die Russen beim Brexit tatsächlich ihre Finger im Spiel hatten, bleibt vorerst unklar. Fest steht aber, dass Russland „großes Interesse hat, sich einzumischen“, sagt Gerhard Mangott, Russland-Experte der Uni Innsbruck.
Wie Putin profitiert
„Großbritannien ist ein wichtiger Sicherheitspartner der EU, es stellt 25 Prozent der militärischen Kapazitäten der Union. Tritt Großbritannien aus, wird die EU als Machtfaktor geschwächt“, meint Mangott. Zudem galten die Briten stets „als trojanisches Pferd der USA in der EU – durch eine russische Kampagne würde die USA Einfluss auf die Politik der EU verlieren.“ Das wäre wiederum im Sinne Putins.
Hochgekocht werde die Affäre natürlich auch durch das innenpolitische Gezerre rund um die vorgezogenen britischen Wahlen am 12. Dezember. Hätten die Russen tatsächlich mitgemischt, nütze das den Remain-Befürwortern, erläutert Mangott – es wäre eine „Legitimation für ein zweites Referendum.“
Und die Wahl selbst? Nach Moskauer Logik sei „eine Einmischung zu erwarten.“
Das Banks-Netzwerk
Die Opposition wütet jedenfalls. Was könnte der geheim gehaltene Bericht verbergen? Schützt Johnson etwa seine Parteifreunde? Oder sich selbst? Immerhin steht auch Johnson im Verdacht, gute Kontakte zu Sergej Nalobin zu pflegen, der ihn auf Twitter bereits als „guten Freund“ bezeichnete. Die Frau des russichen Ex-Vizefinanzministers zahlte zudem saftige 160.000 Pfund für ein Tennisspiel mit Johnson. Das Geld ging an die Tories. Geschieht so etwas ohne Hintergedanken?
Fest steht: Nicht nur Politiker, auch britische Geschäftsleute mit Brexit-Ambitionen pflegten guten Kontakt nach Russland. Genannt sei der Geschäftsmann Arron Banks – er hatte Vote Leave mit acht Millionen Pfund unterstützt. Grundsätzlich kein Verbrechen, doch die „National Crime Agency“ ermittelte gegen Banks.
Der Verdacht: Die Banks-Spende stammt in Wahrheit aus russischen Quellen. Banks bestreitet das. Er soll aber enge Verbindungen zum russischen Botschafter Alexander Jakowenko gepflegt, ihn mindestens dreimal getroffen haben. Banks meinte, es habe nur ein Treffen gegeben, bei dem jede Menge Alkohol geflossen sei - nicht mehr.
Die Briten wären kein Einzelfall. Russland "spendet" gerne an europäische Politiker, vorzugsweise an Rechtspopulisten und Konservative. Und Russland versucht wohl Wahlen zu beeinflussen – nicht nur in den USA.
Russland-Freunde quer durch Europa
Erwähnt sei ein zwielichtiger 9,4-Millionen-Kredit für Marine Le Pens Front National, 2014, eingefädelt über den russischen Geschäftsmann Alexander Babakov. Oder die im Juli veröffentlichten Audioaufnahmen zwischen Vertrauensleuten von Wladimir Putin und Lega-Chef Matteo Salvini. Es ging um einen Erdöl-Deal zwischen einem russischen und italienischen Energiekonzern, welcher der Lega etwa 60 Millionen Euro einbringen sollte – der damalige Innenminister Salvini dementierte. Das Treffen ist mittlerweile belegt. Gegen Lega-Chefverhandler Gianluca Savoini wird wegen internationaler Korruption ermittelt.
Weiter im Text: Bei den Europawahlen 2019 versuchte Russland via Fake-News die „Wählerpräferenzen“ zu beeinflussen und Debatten gezielt zu radikalisieren. Das ist keine Behauptung, sondern steht in einem ausführlichen Bericht der EU-Kommission. Russland hat wohl verschiedene Strategien benutzt, um die europäische Innenpolitik zu beeinflussen, zu korrumpieren, zu schwächen.
Unter Verdacht der russischen Einflussnahme stehen zudem die norwegischen Parlamentswahlen 2017, die deutschen Bundestagswahlen 2017 und nicht zuletzt die österreichische Nationalratswahl 2017. Das liegt in erster Linie am Koordinations- und Kooperationsabkommen der FPÖ mit der russischen Regierungspartei Einiges Russland. Geldflüsse sind in diesem Zusammenhang allerdings keine nachgewiesen.
Wie erfolgreich Präsident Putin und seine Vasallen bei den Versuchen der Beeinflussung waren, ist eine andere Frage. Über die Nachrichtenagentur Sputnik News und Fake-Accounts versucht Russland Debatten zu manipulieren. Der KURIER hat Russlands fünf zentrale Strategien im Mai aufgearbeitet.
Misstrauen in Institutionen schaffen: Das Bild der "bösen Eliten" wird gezeichnet, gleichzeitig werden andere politischen Gruppen als "Stimme des Volkes" dargestellt.
Zwietracht säen: Konservative, traditionelle Werte werden als gefährdet dargestellt. Vor allem Randgruppen und Minderheiten (Homosexuelle, Frauen, Muslime) dienen als Feindbild.
Misstrauen in EU erzeugen: Europas Nationalstaaten sind durch EU, NATO und die USA fremdbestimmt.
EU als schwach darstellen: Die EU steht vor dem Kollaps: Diese These wirkt vor allem in Krisenzeiten. Sie soll bestehende Ängste verstärken.
Gegner werden lächerlich gemacht: Beispiel: Staatsmedien porträtieren Wahlen mit offenem Ausgang als chaotischen "Zirkus".
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