Rotes Kreuz über neues Feldspital in Rafah: "Habe so etwas noch nie erlebt"
In Rafah, jenem Grenzort, aus dem aktuell hunderttausende Menschen evakuiert werden müssen, weil die israelische Armee eine Bodenoffensive vorbereitet, hat das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (ICRC) am Wochenende ein Feldkrankenhaus errichtet, um die vielen Verwundeten und Verletzten zu versorgen. Seit Beginn des Krieges in Nahost ist der Großteil der Menschen im Gazastreifen in den Süden nach Rafah geflohen, doch noch immer wird die Stadt aus der Luft angegriffen - und das Gesundheitssystem ist vollständig zusammengebrochen.
Seit Monaten plante das Rote Kreuz deshalb, im Gazastreifen ein Feldspital zu errichten, am Wochenende ist es durch die Zusammenarbeit des palästinensischen Roten Halbmonds mit zehn weiteren internationalen Rotkreuzgesellschaften (Australien, Dänemark, Finnland, Hongkong, Island, Japan, Kanada, Norwegen, Österreich, Schweiz) erstmals gelungen.
Das Spital, das aus mehreren klinisch sauberen Zelten besteht, verfügt über mehr als 60 stationäre Betten, eine Ambulanz, eine Chirurgie, eine Gynäkologie und eine Geburtenstation. Insgesamt können dort pro Tag rund 200 Patienten stationär behandelt werden. Am Wochenende kam in dem Krankenhaus das erste Baby zur Welt - per Kaiserschnitt.
Das Spital wurde im äußersten Norden Rafahs errichtet, direkt an der Küste und möglichst weit weg von dem Gebiet, in dem Israel seine Bodenoffensive durchführen will. "Wir sind extrem vorsichtig, aber gehen davon aus, dass die Lage auch in den nächsten Wochen sicher bleibt", erklärt Andrea Reisinger, Leiterin der Abteilung für internationale Katastrophen- und Krisenhilfe beim Österreichischen Roten Kreuz (ÖRK), dem KURIER.
Österreich stellt die Wasseraufbereitungsanlage: "Grundvoraussetzung für einen Operationsraum"
Das ÖRK stellt für das Feldspital die primäre Wasseraufbereitungsanlage zur Verfügung. Sauberes Wasser ist im Gazastreifen schließlich kaum zu bekommen: "Wasserleitungen sind beschädigt, Oberflächenwasser ist praktisch nicht vorhanden und das wenige Wasser, das zur Verfügung steht, ist verschmutzt oder zu salzhaltig für den direkten Gebrauch", so ÖRK-Wasserexperte Georg Ecker, der die Anlage mitgeplant hat. Pro Stunde entsalze sie rund 500 Liter Grundwasser, je nach Bedarf stehe so zwischen 10.000 und 12.000 Liter am Tag zur Verfügung.
Das Wasser werde einerseits als Trinkwasser ausgegeben, diene aber auch dazu, das Spital klinisch sauber zu halten. "Sauberes Wasser und eine sterile Umgebung sind Grundvoraussetzungen für einen Operationsraum", sagt Reisinger. "Ohne diese hohen Hygienestandards könnten wir keine Chirurgie betreiben." Die saubere Umgebung sei auch für die Nachbetreuung von frisch operierten Patienten essenziell: "Das ist eines der größten Probleme in Kriegs- und Krisengebieten."
Zu den häufigsten Verletzungen gehören "schwerste Knochenbrüche und großflächige Verbrennungen", so Reisinger. Bei nur 60 Betten müssten die Patienten schließlich früher als sonst entlassen werden, "und dann braucht es ein hygienisches Umfeld, das es so im Gazastreifen momentan nicht gibt. Deshalb ist die regelmäßige, ambulante Nachbetreuung so wichtig."
Ein großer Erfolg sei auch die Geburtenstation. "Viele Frauen im Gazastreifen sind schwer traumatisiert, wodurch sie viel öfter Früh- oder sogar Fehlgeburten bekommen", erklärt Reisinger. Selbst, wenn die Kinder gesund zur Welt kommen, hätten viele Frauen Probleme, ihre Babys zu stillen, "und Kindernahrung ist zurzeit kaum aufzutreiben". Auch Produkte zur Menstruationshygiene sind im Kriegsgebiet Mangelware.
Versorgung des Spitals mit Hilfslieferungen ist und bleibt eine "Mammutaufgabe"
Das nötige Material und die medizinischen Produkte für das Feldspital nach Rafah zu bringen, sei eine "Mammutaufgabe" gewesen, sagt Reisinger. Und es werde weiterhin schwierig bleiben, den Nachschub sicherzustellen: "Wir sind in permanentem Austausch mit den Konfliktparteien. Die haben grundsätzlich zugestimmt, das Material und auch Personal in den Gazastreifen zu bringen. Aber es bleibt eine große Herausforderung."
Scharfe Kritik an der Blockade von Hilfslieferungen durch die israelische Armee äußerte Hossam El Sharkawi, Regionaldirektor des Roten Kreuzes für den Nahen Osten und Nordafrika, bei einer Pressekonferenz in Beirut in Anwesenheit des KURIER Anfang Mai. "Ich arbeite seit 35 Jahren für Hilfsorganisationen, war in unzähligen Kriegsgebieten - aber dass eine Kriegspartei in so einem Ausmaß verhindert, dass wir unserer Arbeit nachgehen können, das habe ich noch nie erlebt."
Reisinger kann die Kritik zumindest teilweise nachvollziehen: "Dieser Konflikt ist für unser Team sicher einer der Schwierigsten, weil wir nur so beschränkt helfen können. An der Grenze stehen hunderte Lkw voller dringend benötigter Güter, die nicht in den Gazastreifen fahren dürfen. Für die Menschen vor Ort muss das schlimm sein, zu wissen, dass es Hilfe gäbe, sie aber nicht hinein kann."
Wie lange das Feldspital betrieben werden kann, könne man "nicht mit hundertprozentiger Sicherheit sagen - wie in jedem Konflikt", so Reisinger. Das festgelegte Minimalziel sei jedoch ein Betrieb von acht Monaten, "und das werden wir auch mit hoher Wahrscheinlichkeit erreichen. Sonst wäre das Spital gar nicht aufgebaut worden."
Das Rote Kreuz bittet dringend um Spenden:
Österreichisches Rotes Kreuz
IBAN: AT57 2011 1400 1440 0144
Kennwort: Naher Osten
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