Gespräch über 1989: "Warum soll Merkel nicht den Schmutz sehen?"
Mit 19 Jahren floh Roman Knižka nach Westdeutschland, gegenwärtig tourt der gefragte Schauspieler wieder mit klassischer Musik und Lesungen durch Deutschland, um auf die „Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt“ aufmerksam zu machen.
KURIER: Gibt es ein Bild oder Gefühl, einen Geruch oder Gegenstand, den Sie ad hoc mit 1989 assoziieren?
Roman Knižka: Ein Geruch hat sich bei mir besonders eingeprägt: Der Gestank der Zweitaktmotoren in der DDR. Der ist mir erst wirklich krass aufgefallen, als ich unmittelbar kurz nach dem Mauerfall diese endende Republik wieder aufgesucht habe. Als Kleinkindern konnte man uns sogar weismachen, dass der antifaschistische Schutzwall, genannt die Mauer, uns vom Smog des Westens schützt. Ich bin absoluter Gegner von diesen ostalgischen Trabant-Rallyes, die in Berlin für Touristen veranstaltet werden.
Sie sind im Sommer 1989 geflohen. Was war ausschlaggebend für die Flucht des 19-jährigen, gelernten Theatertischlers Knižka aus Bautzen (Ost-Sachsen)?
Meine Volljährigkeit, die Eigenverantwortung und das Wissen um die „kontrollierte Karriere“, die mir die Genossen gegönnt hätten. Als ich 1989 abgehauen bin mit zwei Freunden, kamen wir nach vier Tagen und vier Nächten der Flucht erstmal in ein Flüchtlingslager.
Was ist im Lager passiert?
Dort wurden wir registriert wie 2000 andere Flüchtlinge auch und dann vom Bundesnachrichtendienst interviewt. Die wollten rausfinden: Sind die drei Typen das, was sie vorgeben oder von der Stasi geschickt? Wir bekamen neue Ausweise und wurden gefragt: „Wo wollt ihr hin?“ Wir wollten nach Baden-Württemberg. Ich bekam schon damals mit, dass wir ein Privileg hatten, weil wir Deutsche waren und schon nach drei Tagen das Lager verlassen durften im Gegensatz zu den anderen.
Haben Sie auf der Flucht um Ihr Leben gefürchtet?
Wenn ich über meine tage- und nächtelange Flucht erzähle, dann spielt eine gewisse Todesfurcht tatsächlich eine Rolle. Denn auch im Sommer 89 gab es den Schießbefehl zwischen den Grenzen.
Kommen Erinnerungen von damals Ihnen heute noch oft in den Sinn?
Die Unbekümmertheit in meiner jüngsten Kindheit. Aber das geht sicherlich den meisten Menschen so, nur dass sie damals bei mir ab und an unterbrochen wurde, als ich zum Beispiel mit meinem Großvater vor dem Haus argwöhnisch die DDR-Flagge hissen musste, damit es bei den vorbeimarschierenden Genossen gut ankommt.
Nach 30 Jahren, können Sie als Vater ihren zwei Söhnen heute glaubhaft machen, dass in Berlin eine Mauer stand?
Da wir Berliner sind, kann ich ihnen die Rudimente oder den markierten Verlauf durch diese Stadt zeigen. Teilweise erzähle ich in ihren Schulklassen sogar aus meinem Leben.
Für viele existiert die Trennung zwischen Ost- und West immer noch, gibt es nach wie vor Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern. Wahlergebnisse wie jüngst in Thüringen sind für manche Beweis dessen.
Ich war am Vorabend der Thüringen-Wahl mit meinem Programm „Küsst die Faschisten, wo ihr sie trefft“ in Nordhausen (Thüringen). Es war so gut besucht, dass wir Menschen sogar nach Hause schicken mussten. Aber ja, es fällt auf, dass es immer mehr AfD-Sympathisanten im Osten gibt. Und diesen Unterschied muss man sehen und sich fragen: Warum fühlen sich Ostdeutsche abgehängt, mehr am Rand oder vergessen. Es gibt tatsächlich auch nur mehr einen Landtag in Deutschland, in dem die AfD nicht mitmischt, und das ist im Stadtstaat Bremen.
Warum fühlen sich Ostdeutsche am Rand oder vergessen?
Es gibt Menschen, die nach der Wiedervereinigung ihre Chancen nicht erkannt haben. Das kann zum Teil an Bequemlichkeit gelegen haben, weil sich der Staat bis dahin immer um die Bürger kümmerte. Dann war plötzlich Eigeninitiative und ein neues Maß an Bildung gefragt, doch viele – vor allem auf dem Land – haben bis heute keine Vorstellung von den Möglichkeiten, die die Wiedervereinigung bot. Viele fühlen sich noch mehr im Osten als früher, weil hinter ihnen „nur“ mehr Polen, Tschechien oder die Ukraine und Russland liegen. Sie fühlen sich am Rande Deutschlands und der Welt. Der westlichen Welt jedenfalls.
Wo verorten Sie den Rand Deutschlands?
Er findet sich seit nunmehr 30 Jahren zwischen Polen, Tschechien und der Bundesrepublik. In Mecklenburg, Sachsen, Thüringen oder auch an der Ostsee gibt es vielen Menschen, die noch dazu seit dem Flüchtlingsjahr 2015 verstärkt das Gefühl haben: „Jetzt kommen auch noch Schwarze, Syrer und Afghanen, die mir etwas nehmen und dringen in meine wirtschaftliche Schutzzone ein“. Die AfD argumentiert so und so sprachen auch die Nationalsozialisten über zum Beispiel Juden.
Kommt man mit Argumenten gegen die Angst an?
Wie man weiß, haben die Menschen am meisten Angst vor den Dingen, die sie nicht kennen. Wenn man nie mit anderen kommuniziert hat und es nie für bare Münze nimmt, dass Menschen aus Gründen des Kriegs oder des Hungers fliehen, den Koffer und das Kind unter den Arm packen und abhauen, dann ist man schlichtweg ignorant und asozial. Im Kreis der Familie wird bei Bedarf einzelnen geholfen, werden Kompromisse gemacht. So was muss auch für die Gemeinschaft gelten. Die Bevölkerung nimmt zu und wir leben länger, als es jemals der Fall war.
Welchen Anteil hat die Politik an diesem Ost-West-Gefühl?
Schön wäre, wenn die Politik wirklich die klügsten Menschen des Landes bündeln würde. Das tut sie aber nun mal nur in den seltensten Fällen. Wenn man in dicken Limousinen durchs Land fährt und rechts und links wird es schön gemacht für die Durchfahrt, dann gibt es den Blick auf die Realität nicht mehr. Es ist doch bekloppt, sauber zu machen, bevor die Kanzlerin zu Besuch kommt. Warum soll Merkel nicht den Schmutz sehen. Sie muss ihn sehen! Politiker genießen oft einen Star-Status. Aber Politiker sind Volksvertreter und sollen in unserem Namen arbeiten und sich nicht langsam, staatsmännisch das Sakko zuknöpfend, aus Limousinen aussteigend, inszenieren.
In Deutschland wird derzeit diskutiert, ob man mit AfD-Politikern das Gespräch suchen soll oder nicht. AfD-Politiker sind auch durch Wahlen legitimierte Volksvertreter.
Wovor ich wirklich Angst habe ist, was jetzt geschieht. Dass man Politiker zu liquidieren begonnen hat. Walter Lübcke hat man vor seinem Haus umgebracht. In Thüringen wurden Politiker mit dem Umbringen bedroht, wenn sie weiter arbeiten. Natürlich kommen diese Drohungen aus dem rechten Lager und: Es klingt wie 1933. Viele schnallen das nicht. Die sagen: „Das kann doch heute alles nicht mehr passieren.“ Aber für Demokratie und Frieden muss man immer einstehen. Es ist nichts in Stein gemeißelt. Wenn Björn Höcke, der thüringische AfD-Chef, jetzt sagt, dass die AfD mit ihren 21 Prozent in Thüringen die neue, bürgerliche Mitte von Deutschland darstellt, dann habe ich als denkender Mensch plötzlich Ängste.
Wovor haben Sie Angst?
Ich habe die Befürchtung, dass es die EU zersplittern wird. Keine Ahnung, ob es – wenn meine Kinder 20 oder 30 sind – den Begriff des Weltenbürgers noch gibt. Ein Weltenbürger war jemand, der einen Pass in der Hosentasche hatte und damit durch die Welt reiste. Dass es das so ohne weiteres geben wird können, das bezweifle ich derzeit. Gleichzeitig sehe ich, dass Staaten wie die USA ihre Flaggen auf dem Mond und in der Arktis hissen, um Machtansprüche geltend zu machen. Das erinnert mich an die Devise „Volk ohne Raum“ in der Weimarer Republik und NS-Zeit. Dessen sollten wir uns alle bewusst sein.
„Es ist geschehen, und folglich kann es immer wieder passieren“ heißt eines Ihrer Programme. ...
Ich befürchte leider, dass vieles wieder passieren und sich die Geschichte tatsächlich wiederholen kann.
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