Ein ermordeter Journalist, ein angeschossener Premier: Was passiert in der Slowakei?

Matthias Settele ist Medienmanager und TV-Experte. Er leitete ein Jahrzehnt lang den größten slowakischen TV-Sender Markiza TV. Das Land und seine Politik hat er aus nächster Nähe kennengelernt. Inklusive der aggressiven Stimmung zwischen Regierung und Medien. Mit dem KURIER sprach er über Mediengesetzgebung und das Ost-/Westgefälle in einem gespaltenen Land.
Der slowakische Regierungschef wurde am Mittwoch bei einem Schussattentat schwer verletzt. Die Stimmung im Land war schon davor aufgeheizt: Warum polarisiert Robert Fico dermaßen?
Matthias Settele: Fico hat nie einen Hehl daraus gemacht, was er von Journalisten hält. Dazu muss man wissen: Bratislava ist eine der modernsten Regionen der EU. Sehr westlich, pro Nato, pro EU, 80 Prozent geimpft. Aber im Rest des Landes sieht das anders aus. Fico hat gelernt, wie man hier mit Medien und Öffentlichkeit umgeht.

Matthias Settele im Interview.
Am 21. Februar 2018 wurden der Journalist Jan Kuciak und seine Verlobte Martina Kušnírová in ihrem Haus erschossen. Er hatte Verbindungen der Mafia bis ins Büro von Fico thematisieren wollen. Fico trat danach zurück. 2023 gewann er erneut die Wahl und kehrte ins Amt zurück. Wie schaffte er das?
Vereinfacht gesagt: Er hat aus dem Playbook von Erdogan, Trump und Co. gelernt und sich jeweils das Beste herausgeholt: Gegen Impfen, pro Russland, gegen Eliten, mit Aussagen wie „die Medien machen uns krank“... Er nimmt alle Bausteine, um Wahlen zu gewinnen. Dabei ist er eine polarisierende Figur. Einige Zeitungen und auch die Onlineplattform aktuality.sk, bei der Kuciak und seine Lebensgefährtin gearbeitet haben – agieren sehr aggressiv gegen Fico.

Archivfoto: Polizei vor dem Haus des ermordeten Journalisten Kuciak.
Unruhe und Proteste rief Ficos geplante Rundfunkreform hervor. Was ist da geplant?
Es ist keine inhaltliche Reform. Die Regierung will nur die Spitze loswerden, die die Vorgängerregierung eingesetzt hat. Jede Regierung will ihre Leute einsetzen. Die Reform besteht darin, Fernsehen und Radio aufzuteilen, um neue Führungen zu installieren. Dagegen wehren sich Journalisten, Mitarbeiter und die Zivilgesellschaft. Was noch für Proteste sorgte: Fico wollte die Korruptionsstaatsanwaltschaft auflassen und das Strafrecht in Hinsicht auf Korruption lockern.
Matthias Settele (57) begann seine Karriere 1991 als Redakteur im ORF Landesstudio Wien. Er war Bürochef von Gerhard Zeiler im ORF und bei RTL, Direktor Business Affairs Programm und Information bei RTL und hat mit seiner Beratungsfirma SetTele Entertainment in mehr als 20 Ländern als Berater sowie als Interimsmanager und Troubleshooter gearbeitet.
Von 2013 bis 2023 leitete er den größten slowakischen TV-Sender, Markiza TV.
Settele war bei den letzten ORF-Wahlen als auch ein möglicher Kandidat für den ORF-Generaldirektor bzw. für Direktoren-Posten gehandelt worden. Er ist mit ORF-Reporter Hanno Settele weder verwandt, noch verschwägert.
Sie haben bis 2023 zehn Jahre lang größten Privatsender der Slowakei, Markisa TV, geleitet und dabei auch Ficos als Regierungschef erlebt.
Markisa ist von der Größe her wie RTL und von der gesellschaftspolitischen Stellung wie der ORF. Einfach war es nicht immer, weil die Verführung, den Zugriff auf das Fernsehen zu bekommen, gibt es in jedem Land. Wir haben versucht, einen westlich-demokratischen Kurs zu halten, waren dabei aber von der Haltung her immer mittig. Unsere Journalisten waren keine Fico-Hasser. Aber 100 Prozent der Journalisten von Markisa stehen für Freiheit und Demokratie.
Schadet das Schussattentat eines einzelnen Täters den Anliegen der Zivilgesellschaft?
Die Frage ist, was jetzt passiert. Ob man sich versöhnlich gegenübersteht und dieses schreckliche Attentat zum Anlass nimmt, mehr aufeinander zuzugehen. Es steht aber genauso zu befürchten, dass die Regierung noch autoritärer wird. Es ist für ein Land keine gute Entwicklung, wenn solche Dinge passieren - weder der Mord an dem Journalisten noch der Mordversuch an dem Regierungschef.

Robert Fico wurde bei dem Attentat lebensgefährlich verletzt.
Wie geht es weiter?
Die Slowakei hat zwei Gesichter, friedlich und widerständig, West und Ost. Große Teile sind sehr modern. Große Teile wollen in den Osten. Das zerreißt das Land auch: Bratislava ist nahe an Wien, und die ukrainische Grenze von dort ein paar hundert Kilometer entfernt. Ganz so als ob bei uns Bregenz die Hauptstadt wäre. Es gibt den geflügelten Spruch: Die Slowakei ist je nach Ansicht das erste slawische Land oder das erste westliche.
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