Republikaner gegen Trump: "Hören Sie auf, Falschinformationen zu verbreiten"
Joe Biden nähert sich bei der Auszählung restlicher Stimmzettel in fünf Bundesstaaten schrittweise der Schallmauer von 270 Wahlmännern und damit der Präsidentschaft. Donald Trump nähert sich nach Ansicht hochrangiger Vertreter seiner eigenen Partei mit Betrugsvorwürfen gegen die Integrität der Präsidentschaftswahlen der irreparablen Selbst-Demontage.
„Es gibt keine Rechtfertigung für die Äußerungen des Präsidenten heute Abend, die unseren demokratischen Prozess untergraben”, erklärte Larry Hogan.
Der republikanische Gouverneur des Bundesstaates Maryland, in der Regel ein sehr besonnen agierender Mann, bezog sich auf den ersten Auftritt Trumps nachdem sich der Präsident im Weißen Haus nächtens vor laufender Kamera vorzeitig als Wahlsieger ausgerufen hatte und den Generalstopp aller noch laufenden Stimmauszählungen verlangte.
Trump legte nach
40 Stunden später legte ein sichtlich angeschlagener Präsident im Pressesaal des Weißen Haus nach. Vom Blatt las Trump am Donnerstagabend eine Latte von unbewiesenen Behauptungen ab, die ihn abermals als Opfer einer Verschwörung erscheinen lassen sollten. „Wenn man die legalen Stimmen zählt, gewinne ich mit Leichtigkeit”, sagte Trump, „wenn man die illegalen Stimmen zählt, können sie versuchen, uns die Wahl zu stehlen.”
Illegale Stimmzettel sind demnach all jene, die derzeit in noch fünf nicht abschließend ausgezählten Bundesstaaten (North Carolina, Nevada, Arizona, Pennsylvania und Georgia) unter Hochdruck ausgewertet werden und ein Votum für seinen Konkurrenten Joe Biden ergeben.
Trump beschrieb mit Wehleidigkeit im Ton, dass er in besagten Staaten mit 300.000 bis 700.000 Stimmen hoch geführt habe. Plötzlich seien aus dem Nichts „mysteriöse Stimmzettel” aufgetaucht oder herbeigeschafft worden; nun sei sein Vorsprung geschrumpft. Trump erneuerte seine Anschuldigung, dass ihm gesondert demokratisch geführte Bundesstaaten und Städte (er erwähnte Philadelphia und Detroit) die Wahl „stehlen” wollten.
Konstruiertes Komplott
Vorher hätten falsche Umfrageergebnisse, die bewusst in den Medien platziert worden seien, republikanische Wähler von der Wahl abhalten sollen. Aus dem Umstand, dass Briefwahlstimmen landesweit in überwältigender Zahl von demokratischen Wählern für den Demokraten Biden abgegeben wurden, konstruierte Trump einen Komplott: „Es ist unglaublich zu sehen, wie diese Briefwahlstimmen so einseitig sind.” Dass Trump seine eigene Klientel über Monate mit Nachdruck dazu aufforderte, ja nicht per Brief zu wählen, ließ der Präsident unerwähnt.
Trump erklärte, dass es eine „riesengroße Menge von Klagen” gebe, die am Ende möglicherweise vor dem Obersten Gerichtshof landen würden. Realität: In den Bundesstaaten Michigan und Georgia hatten bereits regionale Gerichte Klagen der Trump-Wahlkampagne am Donnerstag abgewiesen, die sich auf die dort bereits teilweise abgeschlossen Stimmenauszählung bezogen.
Trump blieb trotzdem bei seinen Vorwürfen: „Wir können nicht zulassen, dass eine Wahl auf diese Weise gestohlen wird.” Trump sprach von „massenhaften Beweisen” für Manipulationen und Vertuschungsversuchen in Wahllokalen, legte aber keinen einzigen Beleg vor. Geschweige denn erlaubte Trump Nachfragen von Journalisten.
Etliche TV-Sender unterbrachen die Übertragung der Rede, um wahrheitswidrige Aussagen zu korrigieren. Unter den Zuschauern muss sich auch der republikanische Kongress-Abgeordnete Adam Kinzinger befunden haben. Ihm platzte der Kragen: „Hören Sie auf, entlarvte Falschinformationen zu verbreiten. Das wird langsam verrückt”, schrieb Kinziger auf Twitter, „die Stimmen werden ausgezählt und Sie werden entweder gewinnen oder verlieren. Und Amerika wird das akzeptieren. Geduld ist eine Tugend.”
Nur 16 Prozent der Amerikaner glauben an Trumps Vorwürfe
Die Trump sonst zugetane Boulevard-Zeitung New York Post urteilte: „Präsident Trump wiederholte seine haltlose Behauptung, dass politische Gegner versuchten, die Wahl zu stehlen.”
In Meinungsumfragen schließen sich nur 16 Prozent der Amerikaner der Meinung Trumps an, wonach er die Wahl gewonnen habe. Realität: Trump kommt bisher nach Wertung der meisten TV-Sender auf 214 Wahlmänner, Biden auf 253.
Dem 77-Jährigen, der bei der Abstimmung am Dienstag landesweit über vier Millionen mehr Wähler für sich gewann als Trump, fehlen nur noch nur wenige Stimmen bis zur Schallgrenze von 270 Wahlmännern, die er aus dem Pool noch nicht ausgezählter Bundesstaaten generieren kann: Pennsylvania (20), Georgia (16), North Carolina (15), Arizona (11) und Nevada (6). Diese Bundesstaaten wollen zum Teil voraussichtlich am heutigen Freitag und in den Tagen danach ihre Ergebnisse vorlegen.
Geht Georgia an Biden?
In der Nacht zu Freitag bestand nach Kalkulationen des Senders MSNBC die reale Möglichkeit, dass Biden den Bundesstaat Georgia endgültig für sich entscheidet und damit auf 269 Wahlmänner-Stimmen käme.
Im Trump-Lager steigt die Verzweiflung. Eric und Donald Jr., die ältesten Söhne des Präsidenten, beklagten mangelten Rückhalt der Konservativen. „Wo sind die Republikaner? Zeigt Rückgrat. Kämpft gegen diesen Betrug. Unsere Wähler werden euch das nicht vergessen, wenn ihr Angst habt!”, schrieb Eric Trump auf Twitter. Don Jr. riet seinem Vater, er möge einen „totalen Krieg” um den Briefwahl-Betrug vom Zaun brechen und die „ganze Schummelei” offenlegen. Twitter versteckte die Aussage mit einem Warnhinweis.
Die drastischste Aussage über den Resignation und Verblendung atmenden Auftritt Trumps, der nach Angaben von Fakten-Checkern der Washington Post zu den „unehrlichsten” seiner Amtszeit gehörte, kam von seiner Nichte Mary Trump: „So sieht es aus, wenn ein Verlierer verliert.”
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