Wolken über der Regenbogennation: Wie Südafrika ins Chaos schlittert
Aufbruchstimmung – das war einmal. Die Partei von Freiheitsikone Nelson Mandela hat sein Erbe verspielt. Extremer Strommangel, Kriminalität und Korruption drücken das Land am Kap nieder.
„Meine Mutter hat mich als Kind immer gewarnt: Wenn du in der Schule nicht lernst, wirst du dort in diesem Turm enden.“ Eine schlimmere Strafe hätte sich Grant Ngcobo gar nicht ausmalen können. Denn der 54 Stockwerke hohe, kreisrunde Ponte-Turm galt vor einigen Jahren noch als das gefährlichste Gebäude Südafrikas.
Schwerstkriminelle, rivalisierende Drogenbanden, Sexsklavinnen, Obdachlose und viele andere, die sonst nirgends Wohnraum fanden, drängten sich zu 10.000 in dem grauen Betonklotz. Geplant war er für maximal 2.000 Menschen.
Weil die frühere Apartheidregierung dem Gebäude alle staatlichen und kommunalen Leistungen – von Polizei und Rettungseinsätzen bis zur Wasser- und Stromversorgung – verwehrt hatte, verwahrloste der einstige Luxusturm.
Müllentsorgung gab es im „Höllenturm“ ebenfalls keine mehr, worauf Abfall einfach im runden Innenhof des Gebäudes versenkt wurde. „Der Müll stand bis in die Höhe des 14. Stockwerkes“, erzählt Grant, „es muss unvorstellbar gestunken haben. Man hat tote Tiere, sogar Leichen darin gefunden.“
Der „Höllenturm“
Heute sitzt Grant Ngcobo im 51. Stock des renovierten, gesäuberten und wieder sicheren Ponte-Turms. Kommen Touristen, um sich die schaurige Geschichte des Wohnblocks schildern zu lassen, führt der Sozialarbeiter die Besucher auch gerne herum. Es gibt viel zu erzählen über die wechselhafte Geschichte dieses Gebäudes, das so symbolhaft steht für das Schicksal ganz Südafrikas: Glanz und Verfall, Niedergang und sich Aufbäumen, Gewalt und Rassismus und der nie endende Kampf um Gerechtigkeit.
Vor Corona, sagt der junge Mitarbeiter der NGO „Dlala Nje“, habe es lange Wartelisten für die Wohnungen im Turm gegeben. Doch dann kam die Pandemie und machte Millionen Südafrikaner mit einem Schlag ärmer. Monatsmieten bis zu 400 Euro – unbezahlbar für die meisten Menschen im Johannesburger Stadtviertel Hillbrow. Ein Kellner verdient im Schnitt umgerechnet 200 Euro pro Monat, eine Lehrerin maximal 350 Euro.
Viele arm, wenige reich
Genau zehn Jahre nach dem Tod seiner Ikone Nelson Mandela führt Südafrika einen traurigen Rekord an: Nirgendwo auf der Welt ist der Einkommensunterschied zwischen arm und reich größer als hier. Die Hälfte des Gesamtvermögens liegt in den Händen von einem Prozent der Bevölkerung, die wohlhabendsten zehn Prozent, und das sind nach wie vor weiße Südafrikaner, besitzen bis zu 95 Prozent.
Glück hat, wer überhaupt Arbeit hat. Die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei 33 Prozent, tatsächlich dürfte sie weit darüber liegen.
Ohne hohe Mauern und darüber noch elektrische Zäune kommt deswegen kein besseres Gebäude aus. „Eine privilegierte Oberschicht kann völlig abgekoppelt von den Dramen und Krisen draußen leben“, erzählt ein Politologe „Man fährt die Kinder in exzellente Privatschulen, heuert Sicherheitsdienste an und gegen die Stromknappheit installiert man sich eine Solaranlage aufs Dach.“
Doch die Freiheit endet am Hausgatter. Spaziergänge sind gefährlich, Autofahren bei Nacht wird tunlichst vermieden. Viel zu hoch ist das Risiko, überfallen zu werden. An die 70 Menschen werden jeden Tag in Südafrika ermordet. Private Sicherheitsdienste beschäftigen heute bereits vier Mal mehr Menschen als die Polizei. Insgesamt, so schätzt die Weltbank, geht Südafrika wegen der überbordenden Kriminalität bis zu einem Zehntel seines BIPs verloren.
„Wenn 90 Prozent der Bevölkerung leiden, wie soll das auf Dauer gut gehen?“, fragte sich auch der frühere Chef des südafrikanischen Stromkonzerns Eskom, Andre de Ruyter, in einem Interview mit dem economist. Drei Jahre lang hatte der Spitzenmanager versucht, der grassierenden Korruption im größten afrikanischen Stromkonzern Herr zu werden. Vergeblich – und dann fand sich auch noch Zyankali in seiner Kaffeetasse. Ruyter überlebte knapp – und floh in die USA.
Das südlichste Land Afrikas mit seinen 62 Millionen Einwohnern nennt sich „Regenbogen-Nation“ und verweist damit auf seine ethnische und kulturelle Vielfalt.
Apartheid Rund 80 Jahre lang unterdrückt eine kleine weiße Elite die schwarze Mehrheitsbevölkerung grausam. Kämpfer gegen diese Ungerechtigkeit wie Nelson Mandela, Oliver Tambo und Walter Sisulu werden jahrzehntelang eingesperrt.
1994 erste freie Wahlen Sie küren Nelson Mandela zum ersten schwarzen Präsidenten Südafrikas.
Rassentrennung
Vor knapp 32 Jahren endete die Rassentrennung nach Jahrzehnten grausamster Unterdrückung. Zwei Jahre danach wählte das Land mit Nelson Mandela erstmals einen schwarzen Präsidenten. Doch die gewaltigen Hoffnungen auf Aufschwung und ein besseres Leben konnte der seither regierende Afrikanische Nationalkongress (ANC) nicht erfüllen. Politisch kam wohl die Freiheit, wirtschaftlich aber keine Wende.
Schlimmer noch: Misswirtschaft, Korruption und Kriminalität bringen das Land allmählich an den Kollaps. Nahezu jeden Tag muss der Strom im Land stundenlang abgeschaltet werden (load shedding) – ansonsten würde das überlastete und schlecht gewartete Energienetz direkt ins Blackout führen. Fallen die Ampeln aus, regelt daher einfach irgendein Passant den Verkehr.
Schwieriger wird es mit dem Wasser. Wo kein Strom, da versagen auch die Wasserpumpen. Zudem gehen wegen uralter Leitungen täglich Milliarden Liter des kostbaren Nasses verloren. „Für die Weihnachtsfeiertage ist die Wasserversorgung gesichert“, versprach vergangene Woche ein Gemeindebediensteter von Johannesburg, fügte vorsichtshalber aber hinzu: „Das kann sich aber jeden Moment auch wieder ändern.“
Kaputtes Schienennetz
Und da wäre noch die Logistik-Krise: Weil das veraltete Eisenbahnnetz Südafrikas vor sich hin rostet, können Container nicht mehr schnell genug auf die Schiene verlagert und an ihr Ziel gebracht werden. Tausende Container stapeln sich bereits in Südafrikas Häfen – und es werden täglich mehr.
Alle Krisen zusammen, der wirtschaftliche Niedergang des Landes, von Staatsversagen ist schon die Rede – alles eine Folge der jahrzehntelangen Apartheid, heißt es abwehrend vonseiten des ANC..
Doch vor allem Südafrikas Junge, die „Born-Free“- Generation, die nach dem Ende der Apartheid geboren wurden, sehen das Versagen durchaus beim ANC und Staatschef Ramaphosa. Die einst ehrwürdige Befreiungsbewegung, sie hat den Jungen wenig gebracht – jeder zweite junge Südafrikaner ist arbeitslos. Selbst wer studiert hat, sucht oft jahrelang vergeblich nach einem Job.
Die Wut der Bürger auf einen Staat, der keine Leistungen für sie erbringt, schlägt auf die Regierungspartei zurück.
Nächstes Jahr wird gewählt – und zum ersten Mal in der Geschichte des demokratischen Südafrikas droht dem ANC, die absolute Mehrheit verloren zu gehen.
An die 30.000 Österreicher reisen jedes Jahr an die Traumdestinationen in Südafrika. Gebremst haben sie dabei nur die Jahre der Corona-Pandemie, nicht aber die hohe Kriminalität im Land. Doch Überfälle auf Touristen nehmen zu.
Erst Mitte Dezember wurde ein Bus nahe der Stadt Rustenburg mit 32 österreichischen Urlaubern von einem anderen Wagen aus beschossen. Der Buslenker konnte den Angreifer abdrängen, verletzt wurden niemand. Das heimische Außenamt warnt Reisende, besonders achtsam zu sein in Johannesburg, Pretoria, Durban und Kapstadt, vor allem aber in Townships. Vorsicht gelte auch im Kruger Park und bei Überlandfahrten.
Kommentare