Berlin-Adlershof, im Südosten der Hauptstadt – hier werden Programme produziert, die viele kennen: die Talkshow von Anne Will, die Debatten-Sendung "Hart aber fair" oder "Promi Big Brother". In dem Gewerbegebiet sitzt auch die Redaktion von RT DE – der deutsche Ableger des früher als Russia Today bekannten Auslandssenders. Er gehört zum Staatskonzern Rossija Sewodnja. Von Berlin aus liefern "mehrere Dutzend Mitarbeiter" (eine genaue Zahl war von RT nicht zu erfahren) Texte und Videos für eine Webseite und soziale Kanäle. Wer sich durchklickt, findet Tierclips neben Interviews mit Corona-Skeptikern, Politikern von rechts bis links und Kommentare zu Bill Gates, NATO und EU – auch von Ex-Außenministerin Karin Kneissl. Das Geld für all das kommt aus Moskau. Und wie das Nachrichtenmagazin Spiegel anhand interner Mails aufzeigt – auch konkrete Vorgaben, wie über Ereignisse berichtet werden soll. Margarita Simonjan, Chefredakteurin von Rossija Sewodnja, bezeichnete RT selbst einmal als "Verteidigungsministerium".
Im Blickfeld von Verfassungsschutz und BKA
Verfassungsschutz und Bundeskriminalamt haben das Medium im Blick, heißt es aus dem Innenministerium. "Wir betreiben keine Desinformation, und wir distanzieren uns von Verschwörungstheorien", erklärte der RT DE-Programmchef Alexander Korostelev der NZZ. Klar findet man auf der Webseite keine Beiträge mit expliziten Titeln wie "Corona gibt es nicht", aber welche mit einem Ex-Pharmamanager, der behauptet, es existiere keine zweite Welle, alle wären längst immun. Auf eine KURIER-Anfrage, wie das zusammenpasst, erklärt RT DE, dass die im Artikel aufgeworfenen Fragen "im Mittelpunkt des internationalen wissenschaftlichen Diskurses stehen". Dessen Ansicht "wird als eine Meinung innerhalb des aktuellen wissenschaftlichen Diskurses dargestellt, neben Hunderten von anderen Inhalten auf unserer Webseite, die den Standpunkt der WHO, des RKI und anderer Organisationen hinsichtlich mehreren Corona-Wellen weltweit anhand verschiedener Zahlen und Statistiken wiedergeben".
Ein Interview mit einem Arzt, der von der "Epidemie, die nie da war" sprach, wurde zwar gelöscht, dafür folgte aber ein Gespräch über die Reaktionen der "Mainstreammedien" zu seinen Thesen. Ein Vorgeschmack auf das, was künftig im deutschen Fernsehen zu sehen ist? Ende 2021 will RT DE einen Kanal mit Nachrichten, Talkshows und Comedy starten – mehr als 200 Mitarbeiter werden laut Webseite gesucht. Keine einfache Sache, RT DE hat ein Imageproblem. Auf Nachfrage des KURIER wird dies mit "Medienkampagnen" der Konkurrenz begründet. Diese "führen zur Weiterverbreitung und Festigung von Stereotypen bezüglich RT DE, über die unsere zahlreichen Bewerber nach einem persönlichen Gespräch mit uns anfangen zu schmunzeln", lautet die Antwort der Pressestelle.
Für Sarah Pagung von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, die Russlands Medienaktivitäten beobachtet, ist das Anliegen klar: Es gehe um mehr Reichweite. Bisher erreichte RT DE, zu dessen Netzwerk auch die Nachrichten- und Videoagentur Ruptly und der Dokumentationskanal Redfish gehören, Menschen an den politischen Rändern – mit Inhalten, "die für die gesellschaftliche Kohäsion und demokratische Stabilität schwierig sind".
Konflikthafte Themen
Man versuche, "bestimmte Argumentationsmuster der russischen Seite in Bezug auf ihre internationalen, europäischen und russisch-deutschen Beziehungen zu verbreiten. Gleichzeitig setzt man auf Themen, die in der deutschen Gesellschaft konflikthaft sind, wie die Flüchtlingskrise oder die Corona-Proteste", so Pagung.
Dabei galt Deutschland durch seine wirtschaftlichen Verflechtungen lange als Fürsprecher Russlands in Europa. Mittlerweile ist die Politik "konfrontativer geworden". Da wären der Einmarsch der Russen in die Ostukraine, die Hackerangriffe auf den Bundestag, der Mord an einem Georgier im Tiergarten. Und der mutmaßliche Giftanschlag auf Alexej Nawalny. Mit Blick darauf trieb Deutschland in der EU einen Sanktionskonsens voran: "Daher macht es aus russischer Sicht Sinn, zu versuchen, die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen, um den Sanktionskonsens zu schwächen." Laut einem Bericht des Auswärtigen EU-Dienstes wurde Deutschland zum wichtigsten Operationsgebiet für russische Desinformationskampagnen.
Provokationen in Berlin
Die Kluft zwischen der EU und Russland tragen auch andere weitere. Etwa im Haus der Bundespressekonferenz in Berlin (BPK), wo Journalisten für Journalisten wöchentlich Konferenzen organisieren, bei der alle Sprecher der Ministerien und der Kanzlerin Rede und Antwort stehen. Auch den Vertretern von RT. Einige nützen dies zur Selbstinszenierung. Das Ergebnis zeigt sich in Clips, wo Zitate aus dem Zusammenhang gerissen oder für ihre Botschaft instrumentalisiert werden, die lautet: Sie seien die einzigen Journalisten, die kritische Fragen stellen. Mathis Feldhoff, ZDF-Journalist und Vorsitzender der BPK, findet das problematisch: "Das ist eine Haltung, die den Journalismus insgesamt delegitimiert." Eine Reihe von Hauptstadt-Journalisten hat deswegen jüngst einen offenen Brief verfasst. Sie befürchten eine Instrumentalisierung des Vereins und der Pressekonferenzen durch teilnehmende Korrespondenten, heißt es in dem Schreiben.
Feldhoff kann den Unmut nachvollziehen, ist mit Blick auf Sanktionen aber vorsichtig. Sie suchen das Gespräch mit den Leute von RT DE, genauso wie mit dem Verein der Auslandspresse, der ebenfalls sensibilisiert ist. Neun RT DE-Vertreter sind dort Mitglied und können so an der Bundespressekonferenz teilnehmen. Dennoch: Er sieht den Verein als Herzkammer der Pressefreiheit mit Mitgliedern aus allen gesellschaftspolitischen Spektren – "daher müssen wir auch sehr viel aushalten". Dass es unterschiedliche Sichtweisen auf die Welt gibt, sei nicht neu – "früher war es der Kalte Krieg, heute ist es die Corona-Pandemie". Und: "Der Ausschluss von Medien kann in unserem Verein, der auf Toleranz, Breite und Respekt ausgelegt ist, nicht das richtige Mittel sein bzw. nur die Ultima Ratio", so Feldhoff.
Kein Konto für RT
Auch weil er wohl weiß, welche nachhaltigen Folgen das für deutsche Korrespondenten in Moskau haben könnte. Zuletzt gab es Streit, weil die deutsche Commerzbank RT DE die Kontoführung kündigte – die Gründe bleiben Bankgeheimnis. Die russische Außenamtssprecherin Maria Sacharowa beklagte dennoch Behördendruck und verlangte, "ein normales Funktionieren von RT zu gewährleisten". Ansonsten wäre man gezwungen, "harte Gegenmaßnahmen für die in Russland arbeitenden deutschen Medien zu ergreifen".
Unklar ist, wie der Aufbau des Senders in Deutschland funktionieren soll – staatlich finanzierte Rundfunkangebote sind nicht zulassungsfähig. Wie der KURIER erfuhr, wurde auch noch keine Lizenz bei der zuständigen Landesmedienanstalt beantragt. Nach Gründen und Zeitplan gefragt, ließ RT DE wissen: "Die Ausstrahlung erfolgt nach den deutschen und europäischen Vorschriften." Möglich wäre, dass die Lizenz in einem anderen EU-Land beantragt wird – und man so über Umwege ins Fernsehen kommt.
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