Pulverfass Nahost: Was von Blinkens Trip zu erwarten ist

Pulverfass Nahost: Was von Blinkens Trip zu erwarten ist
Erster Besuch des US-Außenministers kommt zu einer Zeit, in der die Lage in der Region extrem angespannt ist.

Mit seiner ersten Nahostreise plant US-Außenminister Antony Blinken eine Vertiefung der Zusammenarbeit aller US-Verbündeten in der Region. Sprich: Der Ausbau einer gemeinsamen Front gegen die nukleare Gefahr aus dem Iran.

Doch landete er am Wochenende in einer sprunghaft verschärften Lage in Nahost. Statt einer Ausweitung der friedlichen Zusammenarbeit zwischen Israel und den Golfstaaten stand mit einer neuen Terrorwelle plötzlich das Palästinenserproblem wieder ganz oben auf der Tagesordnung. Ein Problem, das Washington lieber am Rande sehen würde.

Premier Benjamin Netanjahu steht mit seiner neuen rechtsrechten Regierung unter dem Druck einer sich spürbar verstärkenden Terrorwelle. Allein am Wochenende kam es in Jerusalem zu neun Toten. Vergangene Woche gab es auch wieder Raketenangriffe aus dem Gazastreifen auf Südisrael. Umgekehrt starben Palästinenser bei schweren Zusammenstößen im Zuge von israelischen Militär-Razzien in verschiedenen palästinensischen Städten. Die palästinensische Autonomieregierung (PA) kündigte daraufhin und noch vor den letzten Terroranschlägen die Sicherheitszusammenarbeit mit Israels Armee. Nicht zum ersten Mal.

„Rassistische Maßnahmen“

Durch die wachsenden Spannungen leidet die PA unter einem Vertrauensverlust in der eigenen Bevölkerung. So forderte am Montag Präsident Mahmud Abbas im Gespräch mit Blinken mehr US-Unterstützung. „Israels neue rassistische Strafmaßnahmen führen zu einer Explosion. Nicht nur in den Palästinensergebieten, sondern in der gesamten Region.“

Pulverfass Nahost: Was von Blinkens Trip zu erwarten ist

Doch Abbas steckt im Dilemma. Netanjahu auch: Im Vorjahr – damals noch in der Opposition – beschuldigte er seine Vorgänger, durch zu lasche Abwehrmaßnahmen Terror zu provozieren. Jetzt kündigte sein Kabinett scharfe kollektive Strafen an. Die Häuser der getöteten Terroristen sollen zerstört werden. Ihren Familien droht die Ausweisung. Israels Minister für Innere Sicherheit kündigte an, das Tragen von Waffen für Zivilisten zu erleichtern. Wobei diese angekündigten Maßnahmen alles andere als neu sind. In der Vergangenheit jedoch, so die Einschätzung israelischer Sicherheitsexperten, richteten sie nur wenig aus.

Blinken für Pragmatismus

Ein Zuviel an Gegenschlägen kann im Kampf gegen Terror so erfolglos sein wie ein Zuwenig. Nach einer ähnlichen Terrorwelle 2015 sprachen sich Israels Geheimdienste für ein gezielteres Vorgehen gegen mutmaßliche Terroristen aus. Ohne die Gesamtbevölkerung in Mitleidenschaft zu ziehen: „Nicht in den Wald schießen, sondern Bäume sägen.“ Damals hörte Netanjahu auf die Experten. Diesmal aber sitzt er in einem Kabinett, in dem radikale Extremisten Schlüsselpositionen einnehmen. Als „Linksaußen“ unter seinen Ministern dürfte es schwerer für ihn werden, gegen die bombastischen Absichten seiner Koalitionspartner eine pragmatische Richtung einzuhalten. Genau das aber wird Blinken von ihm erwarten.

Wobei Netanjahu, der unter Anklage wegen Korruption steht, auch eigene Interessen verfolgt. Die will er mit einer geplanten Justizreform wahren. Kritiker von links und rechts sehen sie als „Justizpogrom“. Nur mit Hilfe der Extremisten kann er sie durchsetzen. Dabei kam es im Kabinett in der Vorwoche zu ersten Machtkämpfen – zwischen den radikalen Ministern der Siedlerlobby und letzten Pragmatikern wie Verteidigungsminister Joav Gallant. Ausgang – ungewiss.

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