Prominente Österreicherinnen fordern, Frauen aus Afghanistan zu holen
„Wir dürfen gerade noch atmen“: Diese Aussage einer Afghanin fasst die Lage von Millionen Mädchen und Frauen in Afghanistan treffend zusammen. In den zwei Jahren seit ihrer neuerlichen Machtübernahme haben die radikal-islamischen Taliban ein Terrorregime errichtet, das dem weiblichen Teil der Bevölkerung jede Freiheit raubt.
In einem offenen Brief fordert Amnesty International (AI) Österreich nun Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Gerhard Karner auf, legale Wege zu schaffen, Frauen, Mädchen und Kinder aus dem Land und in Österreich in Sicherheit zu bringen.
Die Taliban kamen erstmals Mitte der 1990er-Jahre infolge des afghanischen Bürgerkriegs an die Macht. 2001 wurden sie durch einen US-geführten Militäreinsatz gestürzt, erlangten die Herrschaft aber im August 2021 zurück. Die internationalen Truppen, die 20 Jahre lang im Land gewesen waren, zogen ab - seither unterdrücken die Radikal-Islamisten die Bevölkerung. Trotz anfänglicher Beteuerungen, das rigide Regime der 1990er-Jahre nicht neu aufleben zu lassen, gibt es mittlerweile wieder öffentliche Auspeitschungen und Hinrichtungen.
Frauen müssen sich von Kopf bis Fuß verhüllen. Sie dürfen nicht in Parks und nicht ohne Begleitung männlicher Verwandter reisen. Auch Studieren ist untersagt, größtenteils gilt das auch für Erwerbsarbeit, was viele Familien in die Armut trieb und Kinderehen vervielfachte. Schulbesuch ist Mädchen nur bis zum Alter von 12 Jahren erlaubt.
Schon vor der Machtergreifung der Taliban war Afghanistan ein armes Land. Ausbleibende Hilfszahlungen aus dem Westen, weniger Jobmöglichkeiten durch den Abzug des Westens und Naturkatastrophen haben die Lage der Menschen danach weiter verschärft. Die Hälfte der rund 38 Millionen Einwohner ist auf humanitäre Hilfe angewiesen.
Unterzeichnet wurde der Brief, der am Donnerstag veröffentlicht wird, von 150 Frauen. Unter ihnen finden sich etliche Prominente wie die Journalistin Antonia Rados, Adele Neuhauser, Birgit Lauda, die Malerin Xenia Hausner, Ex-ORF-Programmdirektorin Kathrin Zechner sowie die afghanische Botschafterin in Wien, Manizha Bakhtari.
Der KURIER sprach mit der Geschäftsführerin von AI Österreich, Annemarie Schlack, über die Aktion.
KURIER: Wie kam es zu dem offenen Brief - und wer gab den Anstoß?
Annemarie Schlack: AI ist seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv, wir recherchieren laufend die Menschenrechtslage. Dadurch sind wir im November mit Antonia Rados zusammengekommen. Als es kurz danach in Afghanistan wieder einmal einen Anschlag gab, bei dem Frauen getötet wurden, haben wir gemeinsam gesagt, es reicht, es muss etwas getan werden.
Wir als Österreicherinnen, die eine Stimme haben, wollen für Frauen einstehen, die das nicht tun können.
Wie ging es weiter?
Wir sind auf Frauen zugegangen, von denen wir dachten, es wäre gut, wenn sie dabei wären – und die haben dann andere angesprochen. Aus den ursprünglich 20, 30 Frauen, die wir im Kopf hatten, sind 150 geworden. Eigentlich war die Deadline schon letzte Woche, doch noch immer wollten Frauen mitmachen.
Wir sind mit unseren Forderungen auch an das Außen- und das Innenministerium herangetreten und hatten einem Termin bei einem Vertreter des Innenministeriums. Wir sind weiter im Gespräch und werden nicht lockerlassen.
Für viele Afghaninnen ist es unmöglich, an einen Pass zu kommen, Frauen dürfen nicht allein reisen. Wie könnte eine Aufnahme nach Österreich bewerkstelligt werden?
Wir haben dank unserer Arbeit im Land eine Liste von geprüften Leuten, Frauen und Menschenrechtsverteidigern, das trifft auch auf andere Zivilorganisationen oder Initiativen in Österreich zu.
Dass es kompliziert ist, Menschen herauszuholen ist klar. Doch das ist noch lange kein Grund, es nicht anzugehen. Man könnte geflüchteten Frauen und Männern auch anders helfen, etwa in den Nachbarländern Afghanistans. Deutschland hat zum Beispiel Stipendien vergeben für afghanischen Frauen im Ausland, damit sie ihr Studium fortsetzen können.
Politiker forderten bis jetzt eher Abschiebungen nach Afghanistan.
Ich bin es leid, das zu kommentieren. Alle Politiker wissen sehr genau, dass Abschiebungen nach Afghanistan rechtlich und faktisch unmöglich sind. Da wird politisches Kleingeld gewaschen auf Kosten einer unterdrückten Bevölkerung und von Menschen, mit denen sich viele Österreicherinnen und Österreicher verbunden fühlen.
Die Schicksale der Frauen und Mädchen gehen den Menschen hier sehr nahe, das hören wir immer wieder.
Wie sieht die Arbeit von Amnesty International in und für Afghanistan aus?
Wir haben ein Team von Menschenrechtsforscherinnen, Researcherinnen genannt, die regelmäßig nach Afghanistan fahren. Sie befragen Augenzeugen und sind in Kontakt mit den wenigen Organisationen vor Ort, die es noch gibt und die teilweise im Untergrund arbeiten.
Wir haben auch ein Relief-Programm, durch das wir Menschenrechtsverteidiger und Aktivistinnen unterstützen. Auf internationaler Ebene arbeiten wir mit der UNO, dem UN-Sicherheitsrat und der EU. Wir haben ein Büro in Brüssel, das laufend lobbyiert. Wir sind in jeder Instanz eine laute Stimme für die afghanische Bevölkerung.
Was hören Sie aus dem Land?
Wie beschränkt die Rechte der Frauen dort sind, kann man sich bei uns nicht vorstellen. Vielleicht ein bisschen, wenn man sich an die Corona-Lockdowns erinnert, in denen man nicht hinausgehen durfte und gemerkt hat, was das mit der Psyche macht. Man wusste aber, das hört auf. In Afghanistan hört es nicht auf.
Ich habe von 10-jährigen Mädchen gehört, die nicht mehr reden, weil sie keine Hoffnung mehr sehen. Sie dürfen nicht mehr in die Schule gehen, nicht mehr spielen, keine Freundinnen treffen. Sie dürfen nur auf ihre vier Wände starren.
Trotz Lebensgefahr demonstrieren immer wieder Frauen, auch einige Männer, für Frauenrechte.
Natürlich ist das in keinster Weise zu vergleichen mit den Protesten im Iran. Im Iran gehen Tausende auf die Straße, in Afghanistan ist es schon ein Verbrechen, wenn man sich als Frau ohne männlichen Verwandten auf die Straße begibt. Wenn jemand protestiert, sind das einzelne, todesmutige Personen. Es ist ein Himmelfahrtskommando.
Im Westen wird diskutiert, ob mit gemäßigteren Teilen der Taliban über Erleichterungen für Frauen verhandelt werden soll. Die UNO schickte schon Vertreter.
Man muss unterscheiden: Redet man mit ihnen oder erkennt man sie an? Wir sagen: De facto haben die Taliban derzeit die Macht, deshalb richten wir auch unsere Forderungen an sie. Alles andere wäre realpolitisch naiv.
Wir haben den zweiten Winter seit der Taliban-Machtübernahme. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist akut von Hunger bedroht. Da ist es auf der einen Seite wichtig, Nahrung, Medikamente und medizinische Betreuung ins Land zu bringen. Auf der anderen Seite müssen Österreich, die EU, alle politischen Akteure auch politisch mit den Taliban reden und Forderungen stellen.
Besonders innerhalb der EU mit ihrem Wertesystem, mit der Menschenrechtskonvention, fordere ich viel mehr Einsatz.
Was kann jede Österreicherin, jeder Österreicher tun?
Wichtig ist, zu zeigen, dass man die Frauen, die Mädchen, die Menschen in Afghanistan nicht vergessen hat. Man kann auf unserer Website eine Petition unterzeichnen, die weltweit schon 100.000 Menschen unterschrieben haben und die wir an die Taliban übergeben werden. Man kann natürlich auch spenden, an humanitäre Organisationen oder auch an Amnesty. Jeder Cent wird gebraucht.
Es gibt ein Sprichwort: Wenn du glaubst, du bist zu klein und zu unbedeutend, dann hast du noch nie eine Nacht mit einem Moskito im Zelt verbracht.
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