Mit öffentlichen Hinrichtungen im Fußballstadium erlangten die Taliban während ihrer ersten Herrschaft (1996 bis 2001) traurige Bekanntheit. 15 Monate nach der neuerlichen Machtübernahme der Islamisten gibt es wieder Steinigungen, Auspeitschungen und bald wohl wieder zur Strafe amputierte Gliedmaßen in Afghanistan. Allen Beteuerungen zum Trotz, diesmal moderater aufzutreten, hat Taliban-Chef Mawlawi Hibatullah Achundsada vor Kurzem angeordnet, die Scharia wieder voll umzusetzen – und zwar so, wie der radikalste Flügel der Extremisten sie versteht.
Erst kürzlich wurden 14 Menschen, darunter drei Frauen, in einem Stadion in der Provinz Logar „für verschiedene Sünden, darunter Ehebruch, Raub und andere Formen der Korruption“, öffentlich ausgepeitscht.
„Fast täglich höre ich von Frauen und Mädchen, die Musik gehört oder telefoniert haben und dafür ausgepeitscht wurden“, berichtet auch die afghanisch-stämmige Autorin Shikiba Babori dem KURIER, „das war vor ein paar Monaten noch nicht so“. Auch vielen Burschen werde die rigide Moral der Taliban zum Verhängnis; schon Telefonate zwischen Menschen verschiedenen Geschlechts würden als verbotener „außerehelicher Kontakt“ gewertet.
Bisher galt die Taliban-Auslegung der Scharia, die bei Diebstahl das Amputieren einer Hand vorsieht, zwar als Rechtsgrundlage. Sie wurde aber kaum umgesetzt. „Wir amputieren noch keine Hände, auch wenn es entsprechende Urteile gibt, weil wir noch nicht die medizinischen Möglichkeiten dafür haben“, sagte ein Richter im Sommer der ARD. Der Verurteilte müsse die Strafe ja überleben.
Keine Schule für Mädchen
Besonders dramatisch ist die Lage einmal mehr für Frauen. Im vergangenen Jahr nahmen ihnen die Taliban alle Rechte nach und nach weg. Zuerst wurde das Tragen eines Kopftuchs obligat, dann die Bedeckung des Gesichts. Schulbesuch ist für Mädchen über 12 Jahre in den meisten Regionen nicht mehr erlaubt, bis auf wenige Ausnahmen dürfen Frauen nicht arbeiten. Es gibt zwar noch Studentinnen – allerdings werden immer mehr Studienrichtungen für sie gesperrt. Ebenfalls tabu sind Sporthallen, Bäder und Fitnesscenter, selbst wenn dort nur Frauen trainieren und arbeiten. Und auch der Aufenthalt in Parks.
Als Grund für alle Verschärfungen sieht Babori die Unzufriedenheit der Bevölkerung. „Die Taliban fürchten, dass die Menschen wagen könnten, nach Veränderungen zu rufen“, sagt die Journalistin, deren neues Buch „Die Afghaninnen. Spielball der Politik“ im Campus Verlag erschienen ist. Tatsächlich hätten die Radikalislamisten keines ihrer Versprechen eingehalten: Frauenrechte würden nicht beschränkt, hieß es bei der Machtübernahme; Korruption werde bekämpft und für Ruhe gesorgt.
In Afghanistan herrscht größere Armut als je zuvor. „Die meisten NGOs haben das Land verlassen, viele Menschen verloren ihre Arbeit“, sagt Babori. Bedienstete im Staatswesen erhielten wegen der vom Westen zurückgehaltenen Entwicklungsgelder kaum Gehalt. Dazu kämen der grassierende Hunger – mehr als die Hälfte der 40 Mio. Afghanen hat zu wenig zu essen – und Naturkatastrophen, die viele Menschen zu Binnenflüchtlingen machten.
Wachsender Unmut
Zwar gibt es, anders als im Iran, in Afghanistan keine große Protestbewegung, der Unmut entlädt sich aber doch – in Kundgebungen einiger weniger Frauen, die von den Taliban durch Schüsse in die Luft, Prügel oder Verhaftungen aufgelöst werden. Anders als während der ersten Taliban-Herrschaft, die einen Bürgerkrieg beendete, folgte die jetzige auf eine vergleichsweise freie Zeit, erklärt Babori, warum trotz des Risikos aufbegehrt wird. „Die Hälfte der Bevölkerung ist um die 20 Jahre alt“, erklärt die Autorin, sie kenne die erste Taliban-Herrschaft nur aus Erzählungen. Zudem gebe es durch soziale Medien viel mehr Austausch als damals.
Die Taliban sind dabei keineswegs einig, was die Führung des Landes angeht, debattieren etwa anhaltend über höhere Schulen für Mädchen. „Die, die Gewalt ausüben, sind der größte Teil der Gruppe“, sagt Babori, „aber auch der am wenigsten gebildete“. Ein gewaltsamer Machtkampf sei aber unwahrscheinlich. Mit Blick auf verschiedene Gruppen von Exil-Afghanen, die sich zunehmend koordinierten, wüssten die Moderaten, dass sie das extremistische Fußvolk noch brauchen könnten.
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