Pressestimmen: "In Europa entwickelt sich neuer Nationalismus"

Pressestimmen: "In Europa entwickelt sich neuer Nationalismus"
Deutschland lobt Merkel, harte Kritik aus Italien: Eine Auswahl von internationalen Pressestimmen zum EU-Gipfel.

Wie haben die internationalen Medien auf die Einigung beim EU-Gipfel reagiert? Ein kurzer Überblick:

Deutschland

Die Welt: "Wut, Gebrüll, Machtspiele - und am Ende triumphiert Merkel: (...) Die Vorstellung, dass allein Deutschland und Merkel mit Geiz und Kleingeistigkeit den Zusammenhalt auf dem Kontinent zersetzen, ist Vergangenheit. Jetzt ist offensichtlich, dass die Realität in Europa komplizierter ist."

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Frankfurter Allgemeine: "Alles andere als ideal ist auch die Ausgabenstruktur des regulären EU-Haushalts für die Jahre 2021 bis 2027. Er bleibt mit seinem starken Fokus auf der Agrar- und der klassischen Strukturpolitik ein Haushalt von gestern. Das liegt ebenso an „Chefs“ wie Macron wie dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz oder den Vertretern der osteuropäischen Länder. Sie alle – auch Merkel – einte in den vergangenen Monaten trotz aller Rufe nach einer Modernisierung des Budgets das Ziel, die alten Besitzstände von Bauern und Regionen zu wahren."

taz: "Die EU hat sich entlarvt: Sie ist keine solidarische Werteunion, sondern eine Gemeinschaft der Egoisten, die nur im äußersten Notfall hilft. (...) ,Geiz ist geil' – dieser Werbespruch schien tagelang das neue Motto der EU zu sein. Vor allem die ,Frugal Four', also die geizigen Nordländer, hatten es darauf angelegt, die Coronahilfen für den Süden zusammenzustreichen und sich gleichzeitig milliardenschwere Rabatte zu sichern."

"Der alte Trumpf: Rechtsstaatlichkeit"

De Volkskrant, Niederlande: "Natürlich ist es wichtig, dass die südlichen Länder Reformen durchführen, um ihre Volkswirtschaften robust und zukunftssicher zu machen. Aber zu strenge Reformanforderungen können eine Wirtschaft auch ersticken, wie Griechenland in den vergangenen Jahren erleben musste. Zudem wird der erhobene niederländische Zeigefinger als anmaßend empfunden, gerade weil die Niederlande selbst mit ihrer Exportwirtschaft fast am meisten von der EU profitieren. Dies sollte Regierungschef Rutte den Bürgern mal besser vermitteln. Wähler kann man nämlich nicht nur mit einem nationalistischen Nein gewinnen, sondern auch mit einer realistischen Zukunftsvision für ein gemeinsames Europa."

La Republica, Italien: "In Europa entwickelt sich ein neuer Nationalismus. Bei den Verhandlungen über den Wiederaufbaufonds wurde dies ganz deutlich. Dort wurden wieder nationale Interessen über die der Union gestellt. Die EU sollte eigentlich ein politischer Riese sein, leider aber steht sie auf schwachen Füßen."

El Pais, Spanien: "Die EU schließt einen historischen Pakt um die Corona-Krise zu überwinden"

Magyar Nemzet, Ungarn: "Da muss natürlich wieder der alte Trumpf gezogen werden: die Frage der Rechtsstaatlichkeit. Die europäische Union kann aber nur dann erfolgreich werden, wenn ein jeder von seinem hohen Ross heruntersteigt."

De Standaard, Belgien: "Im Kampf für eine "sparsamere" EU hat er sich in den vergangenen vier Tagen und Nächten etwas zu oft und zu auffällig quergestellt. Das hat Mark Rutte zwar Bewunderung seitens des österreichischen Bundeskanzlers eingebracht - Sebastian Kurz war der wichtigste Bündnispartner bei seiner Übung in Sparsamkeit -, aber es wird doch noch eine Weile dauern, bis die Schwergewichte in Europa ihm wieder freundschaftlich auf die Schulter klopfen."

Hospodarske noviny, Tschechien: "Die unendlichen Verhandlungen in Brüssel (...) haben einen Nebeneffekt, der für Mitteleuropa entscheidend ist. Das, womit der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki aus Brüssel zurückkehrt, wird in großem Maße die Stimmung der polnischen Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) gegenüber Europa bestimmen."

Großbritannien und Schweiz

Neue Zürcher Zeitung, Schweiz: "Die EU braucht den Streit: (...) Weder Rutte noch die Österreicher oder Skandinavier, deren Länder immer noch viel proeuropäischer eingestellt sind, als es die Briten je waren, wollen ein Scheitern dieses Gipfels. Sie wissen, dass sie aus eigenem Interesse den krisengebeutelten Südeuropäern entgegenkommen müssen. Ihre Bedenken gegenüber einer finanziellen und fiskalpolitischen Vergemeinschaftung aber sollte man in Brüssel und Paris ernst nehmen."

Guardian, Großbritannien: "Ein bitterer EU-Gipfel offenbart ein Vertrauensdefizit zwischen den Anführern, ohne dass ein Ende in Sicht wäre"

Drittstaaten

Rossijskaja Gaseta, Russland: "Inhaltlich hat sich nichts geändert: Die Länder im Norden Europas, die am meisten in die EU einzahlen, weigern sich nach wie vor, ihren vom Coronavirus am meisten betroffenen südlichen Nachbarn wie Italien und Spanien selbstlos zu helfen. Sie sind enttäuscht über ausbleibende Reformen in Südeuropa und den Angriffen auf den Rechtsstaat in einigen Ländern Osteuropas. Deshalb können sie die leeren Reden über Solidarität nicht mehr hören."

New York Times, USA: "Der Deal (...) sendete ein starkes Signal der Solidarität, auch wenn er neue tiefe Trennlinien nach dem Brexit aufzeigte."

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