Kein Land fürchtet eine russische Aggression trotz NATO-Mitgliedschaft so sehr wie Litauen. Präsident Nauseda fordert einen Ausschluss Putins in G20.
26.02.22, 05:00
von Jens Mattern
Kein Land ist so sehr aufseiten der Ukraine wie Litauen. Und kaum ein Land fürchtet so sehr eine russische Aggression trotz Mitgliedschaft in der NATO. Litauen rechnet vor allem mit einem Cyberangriff vonseiten Russlands. Das Land hat den Ausnahmezustand ausgerufen und fordert, so wie Lettland, die Aktivierung des Artikels 4 der NATO.
Mitgliederstaaten können diesen nutzen, wenn sie sich von einem anderen Staat bedroht fühlen, die anderen Mitglieder sind dann zur Beratung verpflichtet. Zudem unterstützt der litauische Staatspräsident Gitanas Nauseda den Wunsch des ukrainischen Präsidenten Wolodymir Selenskij, Russland aus der G20 und dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen auszuschließen. Nauseda hatte am Freitag mit Selenskij telefoniert.
Indirekte Drohung?
Estlands Präsident Alar Karis ruft nach Verstärkung in Form von Land- und Luftstreitkräften an der "Ostflanke der NATO". In Wladimir Putins Reden, die den Einmarsch in die Separatistengebiete im Donbass und die Attacke gegen die gesamte Ukraine einleiteten und legitimierten, wurden zwar keine direkte Drohung gegen Litauen, Lettland und Estland geäußert – wohl aber ein Bedauern, dass der aufkommende Nationalismus und Gorbatschows Zugeständnisse 1989 zu mehr Autonomie Schuld am Untergang der Sowjetunion hatten.
Zudem kündigte Putin eine Nulltoleranzpolitik gegenüber den Aktivitäten der NATO an den Grenzen Russlands an – dies betrifft auch die baltischen Staaten. Dabei stellt sich die Frage: Wie würden sich die russischsprachigen Minderheiten in Estland und Lettland verhalten, sollten russische Panzer angerollt kommen?
Diskriminierung
In beiden Ländern machen sie etwa 25 bis 30 Prozent aus. Das russische Staatsfernsehen berichtet oft über deren Diskriminierung. In Kritik steht vor allem der Anspruch, einen Sprachtest bestehen zu müssen, um vollwertiger Staatsbürger zu werden. Die russischsprachige Minderheit lebt seit über dreißig Jahren dort.
Der estnische Sportmoderator und Reserveoffizier, Alvar Tisslar, erzählte dem KURIER, dass die russischstämmigen Soldaten bei ihrer Einberufung immer noch gefragt würden, ob es ihnen etwas ausmache, im Fall gegen Russland kämpfen zu müssen.
Von ähnlicher Diskriminierung berichtet der bekannteste russischstämmige Politiker Lettlands, Nils Usakovs: Von 2009 bis 2019 regierte der heutige Europaparlamentarier Riga. Dabei wurde ihm das häufige Reisen nach Moskau vorgeworfen. Die Kreml-Kontakte bedeuteten jedoch nicht, dass er für ein russisch kontrolliertes Baltikum sei, betonte er stets. Genauso wenig wünscht sich das die russischstämmige ältere Generation in Lettland. Sie weiß, mit welch niedriger Rente Gleichaltrige in Russland auskommen müssen.
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