Paul Lendvai: Analysen aus der „verspielten Welt“

Paul Lendvai: Analysen aus der „verspielten Welt“
Der Südosteuropa-Experte Paul Lendvai wirft einen Blick auf die Entwicklung in der Region.

Tito habe er „nur“ einmal getroffen. Slobodan Milosevic nie, George Soros schon öfter. Mit dem früheren tschechischen Staatsoberhaupt Vaclav Klaus verbanden Paul Lendvai sogar „lange Zeit freundliche Kontakte“.

Paul Lendvai war lange die Stimme der heimischen politischen Berichterstattung aus Südosteuropa. Der Österreicher mit ungarischen Wurzeln kennt die Region und ihre großen Namen wie nur wenige andere.

In seinem neuen Buch „Die verspielte Welt“ (ein Ausdruck, den er gerne benutzt) beschreibt Lendvai viele Zentren der südosteuropäischen Politikberichterstattung und deren jüngere Geschichte. Er erklärt, wie Politiker wie Viktor Orban oder Janez Jansa an die Macht gekommen sind, und was die Geschichte und die gesellschaftliche Struktur des jeweiligen Landes damit zu tun hat.

Osteuropa-Kenner

Er habe die „journalistische Ambition, den Lesern etwas Neues, Wichtiges, bisher nicht Gesagtes“ zu bieten, schreibt Lendvai – und das gelingt ihm auch diesmal wieder.

Lendvai, Publizist, Autor und Osteuropa-Experte, der heute Leiter der ORF-Sendung „Europastudio“ ist, nähert sich in mehreren kurzen Essays fast schon auf psychologische Weise der Frage an, wie illiberale Demokratien in diesem Teil Europas überhaupt möglich geworden sind. Als Auslandskorrespondent war er Zeitzeuge „historischer Wenden“ und anderer wichtiger Entwicklungen in der Gegend und hat etliche prägende Persönlichkeiten in Österreich, Ungarn, Serbien, Kroatien, Albanien und Mazedonien persönlich getroffen.

Aus diesen Begegnungen und persönlichen Erlebnissen strickt der routinierte Lendvai gekonnt einen kurzweiligen Überblick über die Region, in der die Rolle der Persönlichkeit in der Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und in den Medien nicht zu kurz kommt.

Er widmet sich dem Aufstieg der aktuellen Regierenden in diesen Staaten, der Frage nach der Jugoslawien-Nostalgie, der – wie er es nennt „anhaltenden Krise der Europäischen Union“ und dem „Mythos Macht“ an sich.

Kritisch hinterfragt er freilich die Sehnsucht nach starken Führungspersönlichkeiten. Er, der hautnahe Bekanntschaft mit der „braunen und der roten Diktatur“ gemacht habe, die „beide lebensgefährlich“ seien. Er selbst habe sich „für die unperfekte Demokratie“ entschieden.

„Kühne Prognosen“ traut sich Paul Lendvai in seinem neuesten Buch nicht. Er nennt Beispiele wie den Brexit, den Sieg Trumps bei der Präsidentschaftswahl 2016, oder die Erfolgswelle der Rechtspopulisten in Brasilien und Italien als Beispiele, in denen sich politische Beobachter weltweit verschätzt hatten.

Paul Lendvai: „Die verspielte Welt“, ecowin Verlag, 237 Seiten, 24 €

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