Ethnische Säuberung? Israelische NGO fliegt Palästinenser aus Gaza aus
Aufnahmen aus dem Inneren eines Flugzeugs: Frauen, Kinder, Männer. "Wir haben Gaza mit nichts als unserer Kleidung, die wir tragen, verlassen", schildert ein Mann mit Schatten unter den Augen gegenüber Al Jazeera. Zwölf Stunden sollen die 153 Personen am 13. November nach Landung im Flugzeug gesessen sein, ohne zu wissen, wo sie sich befinden – Malaysien, Indonesien, Südafrika?
Schlussendlich landeten sie in Johannesburg, rund 13 Flugstunden von Gaza entfernt. Palästinenser dürfen in Südafrika zwar visumfrei für 90 Tage einreisen, doch wurde ihnen die Einreise verweigert, weil sie keinen Ausreisestempel in ihren Pässen hatten. Die Polizei wollte das Flugzeug erst zurückschicken. Nach Intervention der NGO "Gift of the Givers" durften die Menschen aussteigen. Ein ähnlicher Fall ereignete sich bereits Ende Oktober, damals war ein Flugzeug mit 176 Palästinensern aus Gaza in Johannesburg gelandet. Einige reisten weiter, der Großteil blieb in Südafrika.
Bekannt wurden die Vorfälle deswegen, weil sich der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa zu Wort meldete: Er erklärte, die Palästinenser seien "auf mysteriöse Weise in ein Flugzeug gesetzt" worden, sie sollen aus Gaza "vertrieben" worden zu sein. Südafrika gehört zu den lautesten Kritikern Israels, und bezichtigt Israel des Völkermordes in Gaza - Südafrika hat Israel deswegen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag verklagt.
Seitdem wird diskutiert, ob die israelische Regierung in die Abschiebung der Palästinenser involviert ist.
Dubiose Organisation
Den Passagieren zufolge soll hinter den Flügen die Organisation Al-Majd Europe stecken. Laut ihrer Website zielt Al-Majd Europe darauf ab, "muslimischen Gemeinschaften in Konflikt- und Kriegsgebieten Hilfe und Rettungsmaßnahmen zukommen zu lassen". Die Organisation gibt an, 2010 in Deutschland von "Geflüchteten vor diktatorischen Regimen", darunter Palästinensern aus dem Gazastreifen, gegründet worden zu sein, und ihren Sitz in Jerusalem zu haben.
Recherchen der Deutschen Welle zufolge existiert eine solche Organisation weder im deutschen Wohltätigkeitsregister noch im deutschen Handelsregister, die IP-Adresse der Website und ihr tatsächlicher Standort werden durch Datenschutzsoftware verborgen. Der israelischen Haaretz zufolge wird die Organisation von Tomer Janar Lind, einem israelisch-estnischen Doppelstaatsbürger, geleitet.
Der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa.
Den Passagieren zufolge soll die Organisation in den sozialen Medien Werbung geschaltet haben, die Kontaktaufnahme einfach gewesen sein. Zwischen 1.500 und 2.000 US-Dollar kostete die Ausreise, das Geld wurde in Kryptowährung auf ein Privatkonto überwiesen. In Bussen wurden die Menschen über die Grenze gebracht, wo sie ihr Gepäck abgeben mussten, ehe sie weiter zum Flughafen Ramon in Eilat im Süden Israels gebracht wurden. Dort hätten sie den Charterflugzeug bestiegen, ohne das Ziel zu kennen.
Die Organisation soll enge Kontakte zur israelischen Regierung halten. Haaretz zufolge koordiniert Al-Majd die Ausreise von Bewohnern Gazas im Auftrag des Verteidigungsministeriums.
Die Organisation hat auf X eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sie von "falschen Anschuldigungen" spricht und sich gegen die islamistische Hamas, den israelische Inlandsgeheimdienst Schin Bet und vor allem die Palästinensische Autonomiebehörde, kurz PA, ausspricht. Sie gibt an, ausschließlich zur Koordinierung der Ausreise aus Gaza mit den israelischen Behörden zusammenzuarbeiten.
Unklarheit herrscht darüber, ob es eine Zusammenarbeit zwischen Südafrika und Israel gibt: Medienberichten zufolge hat Israel angegeben, die Erlaubnis Südafrikas für den Flug bekommen zu haben, was Pretoria abstreitet.
Ethnische Säuberung oder freiwillige Ausreise?
Die afrikanische Hilfsorganisation "Gift of the Givers" spricht von "ethnischer Säuberung in Reinkultur", die von Israels Regierung organisiert werde. Israelische Behörden haben sich zu den Anschuldigungen bisher nicht geäußert. Jedoch haben sich Regierungsmitglieder von Premier Benjamin Netanjahu wiederholt für eine "Umsiedelung" von Palästinensern aus dem Gazastreifen ausgesprochen, etwa der rechtsextreme Finanzminister Bezalel Smotrich. Im Februar 2025 sprach US-Präsident Donald Trump über seine Pläne eines Luxus-Küstenstreifen, einer "Gaza-Riviera".
Der Deutschen Welle zufolge begann Al-Majd im selben Monat, seine Dienste zu bewerben. Im März kündigte die israelische Regierung die Einrichtung einer "Direktion für freiwillige Auswanderung" innerhalb des Verteidigungsministeriums an. Bisher gibt es kaum Informationen zu dieser Behörde. Berichten zufolge sollen Bewohner des Gazastreifens SMS erhalten haben, in denen sie eingeladen wurden, "Ausreisemöglichkeiten zu prüfen“.
Wie viele Palästinenser den Gazastreifen seit Kriegsbeginn nach dem Hamas-Angriff am 7. Oktober 2023 verlassen haben, ist nicht bekannt. Der WHO zufolge wurden heuer rund 2.500 medizinische Evakuierungen mit 5.000 Begleitpersonen organisiert. Anfang 2024 sollen über 100.000 Palästinenser nach Ägypten geflohen sein. Wegen der geschlossenen Grenzübergänge gab es danach keine Ausreisen in vergleichbarer Größe mehr.
Al-Majd betont die Freiwilligkeit der Palästinenser, die sich für ein Leben außerhalb Gazas entscheiden würden. Wie freiwillig die angesichts der Zerstörung und Not in Gaza ist, stellen NGOs jedoch infrage. Gewaltsame Umsiedlungen gelten nach internationalem Recht als Verbrechen gegen die Menschlichkeit.
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