Orbáns Coronavirus-Gesetz: Demokratie endet - EU schweigt
„Es ist nicht die Zeit für politische Debatten“, heißt es in der ungarischen Regierung. Doch genau jetzt ist diese Zeit. Denn was das Orbán-Kabinett übers Wochenende in Ungarn zu implementieren versucht hat, bedeute den „Übergang zur Diktatur“, sagte Paul Lendvai am Sonntag im ORF. „Das Ende der Demokratie“, sagen viele in Budapest. Da würde auch der Journalist Péter Magyari zustimmen, sagt er zum KURIER.
Am Montag trat Premier Viktor Orbán schließlich vor die Presse – nach einer Sitzung des Coronavirus-Krisenstabes. Er hält eine Rede, Fragen sind nicht zugelassen. Man wolle das Land schützen, sagt er, militärisch, politisch, medizinisch und wirtschaftlich. 70.275 Polizisten seien dafür aufgestellt, 43.980 Soldaten, 19.431 Ärzte, 66.906 Krankenhausbetten.
Auch in Ungarn haben sich die Coronavirus-Fälle längst vervielfacht. „Wir haben entschieden, nicht zu warten, sondern zu handeln“, sagt Orbán – der vorige Woche noch vor Schulschließungen gezögert hatte, als andere europäische Länder diese längst beschlossen hatten.
Über den Gesetzesentwurf vom Freitag, ein quasi-Kriegsgesetz, wie es manche kritische Medien nennen – kein Wort. Aber der Appell an den Zusammenhalt. Was bei Orbán offenbar so viel bedeutet wie „keine Kritik“, beziehungsweise eben „keine politischen Debatten“.
Parlament suspendieren
Doch an dem Gesetzentwurf T/9790, den Justizministerin Judith Varga am Freitag dem Parlament vorgelegt hat, gibt es so einiges zu kritisieren.
Der Ausnahmezustand, der am 11. März eingeführt wurde, könne beliebig verlängert werden, so der Vorschlag. Das Parlament könne für wichtige Entscheidungen (die nicht näher definiert werden) suspendiert werden, die Regierung könne per Dekret regieren. Vorzeitige Wahlen sowie Referenden können in dieser Zeit nicht durchgeführt werden.
Noch keine Mehrheit
Am Montag wurde das umstrittene Gesetz nicht auf die Tagesordnung des Parlaments gesetzt, da die nötige Vier-Fünftel-Mehrheit am Montag verfehlt wurde. 137 Abgeordnete stimmten mit "Ja", 52 mit "Nein".
Damit endet die am 11. März verhängte Notlage am 26. März, da sie mangels Gesetz aktuell nicht verlängert werden kann. Aber: Die rechtsnationale Regierungspartei Fidesz kann das Gesetz kommende Woche erneut auf die Tagesordnung setzen und dieses mit ihrer Zwei-Drittel-Mehrheit verabschieden.
Und um die Vorgänge nicht zu stören, dürfen Medien (von denen die wenigsten noch unabhängig berichten) keine „Fake News“ zum Thema Coronavirus verbreiten, aber auch keine „wahren Tatsachen verzerren“. Definiert werden aber weder „Falschnachrichten“, noch „Verzerrungen“. Entschieden wird das in weiterer Folge wohl von den Gerichten, die ebenfalls nur mehr in Teilen unabhängig vom Regierungswillen arbeiten können.
Der offizielle Grund für das rigorose Vorgehen gegen Journalisten: Solche Falschmeldungen würden Unsicherheit verbreiten und die habe bereits in den vergangenen Tagen die Regierung vom Handeln abgehalten. Ein „PR-Effekt“, sagt Journalist Péter Magyari. „Viele Menschen kritisieren die Regierung für ihre späte Reaktion auf das Virus. Jetzt spielt sie den Ball zurück und behauptet, die Opposition und kritische Medien hätten sie durch ihre Kritik gebremst.“
Händewaschen bei der EU
Andreas Maurer von der Universität Innsbruck ruft bei aller Kritik zu Sachlichkeit auf. „Es geht nicht nur um die Maßnahmen in dem Paket, sondern vor allem auch darum, wer es schnürt.“ Man müsse jetzt „ganz genau beobachten“, wie der Premier nach Annahme des Gesetzes mit den neuen Befugnissen umgeht. Und auch, wer die damit verbundenen Änderungen in anderen Gesetzen – etwa in Verbindung mit persönlichen Freiheiten, Strafrecht und Überwachung – wieder zurücknehmen wird.
Während Dutzende Politiker in Europa das Maßnahmenpaket der Ungarn kritisierten, ließ die Reaktion der Europäischen Kommission zunächst noch auf sich warten. Aus der Presseabteilung hieß es nur, man wolle den Gesetzesentwurf derzeit nicht kommentieren, verfolge aber die Entwicklung genau.
Stattdessen postete Ursula von der Leyen am Montag ein Video auf Twitter, in dem sie zeigt, wie man die Hände richtig wäscht.
„Von der Leyen hat einfach nicht die richtige Antwort“, sagt EU-Experte Maurer. „In Bezug auf die Corona-Krise ist die EU so gut wie tot.“
Das Video stieß doch einigen in Ungarn bitter auf: „Ist es wirklich Zeit für solche PR-Maßnahmen?“, schrieb ein Journalist darunter und sprach damit vielen Ungarn aus der Seele, die sich zumindest eine Reaktion erhofft hatten.
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