Im ungarischen Radio hatte Orbán am Freitag gesagt: "Man kann Frieden nicht von einem bequemen Sessel in Brüssel aus schaffen. Auch wenn die rotierende EU-Ratspräsidentschaft kein Mandat hat, im Namen der EU zu verhandeln, können wir uns nicht zurücklehnen und darauf warten, dass der Krieg auf wundersame Weise endet."
Es ist nicht der erste Besuch Orbáns in Moskau seit Kriegsbeginn in der Ukraine: Orbán war das letzte Mal im September 2022 in Moskau anlässlich der Beerdigung des früheren sowjetischen Parteichefs und Präsidenten Michail Gorbatschow. Allerdings ist es das erste Mal, dass die beiden Präsidenten in Moskau zusammentreffen. Beide trafen sich zuletzt im vergangenen Herbst beim Seidenstraßen-Gipfel in Peking.
Unruhe in Brüssel
In Brüssel herrschte seit Bekanntwerden der Gerüchte Unruhe: Noch-Ratspräsident Charles Michel schrieb auf X: "Die rotierende EU-Präsidentschaft hat kein Mandat, im Namen der EU mit Russland zu verhandeln." Und weiter: "Der Europäische Rat ist sich im Klaren: Russland ist der Aggressor, die Ukraine das Opfer. Es kann keine Diskussion über die Ukraine geben, ohne die Ukraine." EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dazu: "Nur Einigkeit und Entschlossenheit werden den Weg zu einem umfassenden, gerechten und dauerhaften Frieden in der Ukraine ebnen."
Der polnische Ministerpräsident Donald Tusk fragte: "Die Gerüchte über Ihren Besuch in Moskau können nicht wahr sein, oder doch?" Und der finnische Ministerpräsident Petteri Orpo fügte hinzu: "Beunruhigende Nachrichten über Orbáns Besuch in Moskau. Es ist klar, dass er kein Mandat hat, im Namen der EU zu verhandeln oder zu diskutieren." Kaja Kallas, Premierministerin von Estland und designierte EU-Außenbeauftragte, postete, Orbán repräsentiere nicht die EU: "Er nutzt die Präsidentschaft aus, um Verwirrung zu stiften."
Dass Orbán jetzt, wo Ungarn die EU-Ratspräsidentschaft innehat, die Aufmerksamkeit nutzt, war zu erwarten. Vor Antritt des Ratsvorsitzes hat es Bedenken und Kritik gegeben: Kein anderes EU-Land ist so kreml-freundlich und brüssel-kritisch wie Ungarn. Die Sorge ist groß, dass Entscheidungen zur Unterstützung der Ukraine in den kommenden Monaten verschleppt würden.
Orbán setzt auf Unberechenbarkeit
Doch Orbáns Strategie ist bekannt: Vor der Öffentlichkeit – vor allem vor der eigenen, ungarischen Bevölkerung – gibt es harte Töne gen Brüssel; Orbán stellt sich als Bollwerk gegen die Brüsseler "Elite" und als eigenständiger Kämpfer für die nationalen Interessen dar, während er hinter verschlossener Tür doch immer zu Kompromissen überredet werden kann. So war es beim letzten europäischen Unterstützungspaket für die Ukraine als auch bei der Entscheidung zur Nutzung russischen Vermögens für die Finanzierung von Waffen.
Kritiker werfen Orbán vor, er nehme sich von der EU-Mitgliedschaft nur, was ihm gefällt. Jetzt nutze er das Scheinwerferlicht, um sich als "Friedensbote" zu inszenieren. Er treibe Medien und Regierungschefs vor sich her, indem er Entscheidungen und Aktionen bis zur letzten Minute geheim halte – so wie seinen spontanen Besuch in Kiew vergangenen Dienstag. Dort soll er Wolodimir Selenskyj einen sofortigen Waffenstillstand vorgeschlagen haben. Der ukrainische Präsident äußerte sich nicht öffentlich zu dem Plan.
Derzeit gibt es keine Friedensverhandlungen zwischen Kiew und Moskau. Kiew lehnt bisher offiziell eine Waffenruhe vor dem Abzug russischer Truppen ab, hatte diese Bedingung aber zuletzt nicht mehr in den Vordergrund gerückt. Russland hatte zuletzt als Vorbedingung für Verhandlungen den vollständigen Abzug Kiewer Truppen aus den von Moskau beanspruchten ost- und südostukrainischen Gebieten Cherson, Donezk, Luhansk und Saporischschja gefordert.
Das ukrainische Außenministerium kritisierte den Besuch. Orbáns Moskau-Reise sei nicht mit der Ukraine koordiniert gewesen.
Ein gemeinsames Foto mit Putin, viel Aufregung in Brüssel und Medienpräsenz in Europa. Orbán dürfte bekommen haben, was er wollte.
Kommentare