„Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in die eigene Hand nehmen.“ Fast sieben Jahre ist es her, dass dieser Satz fiel – gesprochen von der damaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Zu diesem Zeitpunkt war ein gewisser Donald Trump Präsident der USA und forderte – wie bereits sein Vorgänger Barack Obama – die europäischen NATO-Staaten dazu auf, das Ziel, auf das sich 2006 alle NATO-Verteidigungsminister geeinigt hatten, in Angriff zu nehmen: Zwei Prozent der Gesamtwirtschaftsleistung sollten in die Verteidigung fließen.
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"Weckruf für Europa"?
Vor allem für die westeuropäischen Staaten schien das mehr eine Empfehlung gewesen zu sein. Europaweit herrschte der Konsens: Ein konventioneller Krieg in Europa ist unwahrscheinlich und im Ernstfall werden uns die USA unterstützen. Dann kam Trump, der die NATO in ihrer damaligen Struktur in Frage stellte. Es sei ein „Weckruf für Europa“, waren sich Kommentatoren und europäische Politiker weitgehend einig. Passiert ist seither wenig: Ohne die USA gaben die NATO-Staaten damals im Schnitt 1,48 Prozent des BIP für Verteidigung aus. 2023 – der russische Angriffskrieg auf die Ukraine war in vollem Gange – waren es 1,74 Prozent.
Europäische Atombombe?
Während vor allem die osteuropäischen Staaten, allen voran Polen, weit über dem Zwei-Prozent-Ziel sind, hinken vor allem Deutschland und Spanien hinterher. Doch auch wenn die europäischen NATO-Staaten in nächsten Jahr ihr Ziel erreichten, bedeutet das nicht automatisch, dass die kriegsfähig sind: Mangelnder Wehrwille, veraltete Ausrüstung, massiver Munitionsmangel, hohe Pensionierungswellen – die Probleme sind vor allem in Westeuropa beinahe überall dieselben. Und dann stellt sich die Frage, wie NATO-Verteidigungskräfte ohne USA strukturiert werden sollen: Die Abläufe, Befehlsketten etc. liefen wohl nach NATO-Schema ab, doch wer führt? Ein französischer General? Ein Deutscher? Ein Brite?
Das mag auf ersten Blick vernachlässigbar klingen, doch bereits beim Thema der „EU-Atombombe“ treten massive Schwierigkeiten auf: Als einzige verbliebene EU-Atommacht bietet der französische Präsident Emmanuel Macron Brüssel an, das französische Atomarsenal (etwa 280) der EU zur Verfügung zu stellen.
Die Entscheidung über ihren Einsatz habe jedoch er. Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz will von all dem nichts hören, dennoch gibt es auch Ideen, wonach der „Atombombenkoffer“ zwischen fünf europäischen NATO-Staaten hin und her wandern könne. Die Entscheidung allen 28 europäischen NATO-Staaten (also auch der Nuklearmacht Großbritannien) zu überlassen, sei wiederum schwierig, da ein einstimmiger Konsens zu einem Nuklearschlag wohl nicht leicht zu finden sei.
Doch auch abseits von Verteidigungsfähigkeit im Ernstfall und gemeinsamer nuklearer Abschreckung ist der europäische Verteidigungssektor im Hintertreffen: Zwar baut etwa Rheinmetall derzeit ein Werk, in dem künftig 200.000 Artilleriegranaten pro Jahr produziert werden sollen. Doch selbst damit wäre Europa nicht in der Lage gewesen, binnen einen Jahres die versprochene Million für die Ukraine herzustellen.
Das neutrale Österreich, das derzeit massiv nach- und in einigen Bereichen auch aufrüstet, käme nach NATO-Zählweise (darin sind etwa die Pensionen enthalten) im vergangenen Jahr auf etwa ein Prozent des BIP und wäre im NATO-Ranking Vorletzter vor Luxemburg.
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