Auf einer zehnteiligen Skala politischen Irrsinns darf man Donald Trumps jüngst drohend dahergekommene Polterei getrost im obersten Drittel ansiedeln: Er lud Russland ein, „zu tun, was auch immer zur Hölle sie wollen“. Sprich: Zahlen die NATO-Partner nicht endlich ordentlich für ihre eigene Verteidigung, wirft er sie dem russischen Bären zum Fraß vor. Vom winzigen Luxemburg bis zur Atommacht Frankreich – insgesamt sind es 19 NATO-Staaten, die jeweils weniger als zwei Prozent ihres nationalen BIPs in die Verteidigung stecken.
Sie alle dürften unter einem US-Präsidenten Trump nicht mit der Hilfe der USA rechnen, sollten sie eines Tages angegriffen werden, ließ der republikanische Präsidentschaftskandidat verlauten.
Und was genau sollte uns die Trump’sche Trümmerrhetorik in Österreich kümmern? Wir‚ die wir militärisch neutral und nicht Mitglied des westlichen Militärbündnisses sind?
Ganz schön viel, denn wenn der Hohepriester der „Make America Great Again“-Bewegung mit der verbalen Abrissbirne zuschlägt, gehen die Stützpfeiler der gesamten europäischen Sicherheitsarchitektur zu Bruch.
Dann löst sich der Kitt auf, der den Westen bisher zusammenhielt.
Dann gelten keine Versprechen mehr und keine Abschreckungskraft, die bisher die Gegner fern und draußen hielten. Das würde auch Österreich bitter zu spüren bekommen – mit neuerlichen Kriegen in Europa, neuerlichen Flüchtlingswellen, dem Zusammenbruch des europäischen Binnenmarktes und Krisen, wie sie in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr erlebt wurden.
50-Prozent-Chance
Nun muss man den Teufel nicht gleich an die Wand malen. Die Welt hat noch immer eine 50-prozentige Chance, sich nicht mit einem nächsten US-Präsidenten Donald Trump herumschlagen zu müssen. Und letztlich könnte man immer noch hoffen, dass er nicht wirklich meint, was er sagt. Oder dass es doch noch Gesetze und Regeln gibt, die Trump in seinem Furor bremsen könnten.
Doch dass seine dreisten Drohungen schon jetzt so sehr erschrecken, hat einen Grund. Sie treffen Europa genau dort, wo es verwundbar ist: in seiner Unfähigkeit, sich – ohne die USA auf sich selbst gestellt – ausreichend verteidigen zu können. In seiner Unfähigkeit, ohne den Weltpolizisten USA Kriege auf dem eigenen Kontinent beenden zu können – beginnend von den Zerfallskriegen im ehemaligen Jugoslawien bis zur heutigen Ukraine. In seiner Unfähigkeit, eine geopolitische Größe zu sein.
Wenn Trump also poltert, droht und irrlichtert, sollte man seine Attacken nicht leichtfertig als Irrsinn abtun. Seine Grobheiten zielen direkt auf Europas Schwächen – und die werden auch nicht verschwinden, wenn der nächste Präsident wieder Joe Biden heißen sollte.
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