Vom Guerilla-Kämpfer zum Bauer: Kann so Frieden funktionieren?
Bis heute ist die Integration ehemaliger Guerilla-Kämpfer für Mosambik eine Herausforderung. Die Zentralregierung setzt dabei auf Zusammenarbeit mit der EU – und Österreich.
"Du bist hier also der Boss." Die Aussage entlockt dem schüchternen Samuel Castro Sezé endlich ein Lächeln – wenn auch ein zahnloses, die oberen Schneidezähne fehlen ihm komplett. Ja, das ist er, er ist der Chef über die Wasserpumpe; er kümmert sich, dass die Felder bewässert und die Solaranlagen, die die Pumpe betreiben, instand gehalten werden. "Eine große Verantwortung", übersetzt der Dolmetscher. Der schmächtige 19-Jährige wird wieder ernst und nickt. Für ihn, den Sohn eines ehemaligen Guerilla-Kämpfers, bedeutet die Verantwortung über die Wasserpumpe sehr, sehr viel.
Samuel steht auf einem Stück Feld im Dorf Canda, Distrikt Gorongosa, in der Provinz Sofala. Im Hintergrund rauscht das schlammig-braune Wasser des Flusses, aus dem das Wasser hochgepumpt wird. Für die österreichischen Gäste haben sich die Dorfbewohner herausgeputzt, tragen weiße Polos mit dem Emblem der ADA, Österreichs Agentur für Entwicklungszusammenarbeit.
Obwohl reich an Rohstoffen und Sandstränden, gilt Mosambik als eines der ärmsten Länder der Welt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist von Nahrungsunsicherheit betroffen, über 70 Prozent der 33 Millionen Menschen betreiben Subsistenzwirtschaft, bauen auf den Feldern nur für den Eigenverbrauch an.
Samuel mit seinem Vater, einem Ex-Guerilla-Kämpfer. Er arbeitet heute als Sicherheitsmann im Nationalpark und Bauer.
Blutige Vergangenheit
Ein Blick in die Geschichte hilft, die Armut zu erklären: Nach Ende der fast 500-jährigen Kolonialisierung durch die Portugiesen brach ein 15 Jahre andauernder, blutiger Bürgerkrieg aus, der rund eine Million Tote forderte. Die seit der Unabhängigkeit im Jahr 1975 bis heute herrschende Frelimo, eine linksgerichtete, einst sozialistische Partei, kämpfte gegen die aufständische anti-kommunistische Renamo. Trotz eines Friedensabkommens 1992 kam es bis in die späten 2010er zu einem Aufflammen lokaler Kämpfe und Anschläge der Renamo auf Eisenbahnen, Lkw und Hilfskonvois.
Die Provinz Sofala und der Distrikt Gorongosa waren sowohl von den jüngsten Angriffen als auch während des Bürgerkriegs besonders betroffen. Bis Juni 2023 unterhielt die Renamo hier ihre letzte Militärbasis. Auf dem Weg zu Samuel säumen immer wieder rote Frelimo-Flaggen die staubigen Straßen, man entdeckt durchgestrichene Renamo-Grafitis auf unverputzten Hauswänden. Eine Renamo-Fahne zu hissen, das trauen sich die wenigsten Anhänger.
Das südafrikanische Mosambik ist flächenmäßig zehnmal so groß wie Österreich, die Bevölkerung umfasst rund 33 Millionen Einwohner. Bis 2050 könnte sich diese Zahl verdoppeln. Der Human Development Index (HDI) der UN, der die Verteilung des Bruttoinlandprodukts, Lebenserwartung und Bildungsgrad misst, sieht Mosambik auf Platz 185 von 191. Dem Klima-Risiko-Index zufolge war 2019 kein anderes Land so stark von Extremwetterereignissen betroffen. Zivilbevölkerung und Regierung sind extrem auf internationale Unterstützungszahlungen angewiesen.
In der Gemeinschaft, berichten Ex-Renamo-Kämpfer und ihre Familien, gebe es nach wie vor Diskriminierung, etwa bei der Arbeitssuche. Viele haben Verfolgung erlebt, auch Samuel hat Fluchterfahrung hinter sich, heißt heute anders als früher.
Wie gelingt es, eine so gespaltene und zerstrittene Bevölkerung zu einen?
Wenn einer hier, zwischen Bananenbäumen, Mais- und Tomaten-Feldern, eine Antwort hat, ist es Michael Butschek. Der gebürtige Wiener scherzt mit den lokalen NGO-Mitarbeitern, klopft einem Kollegen herzlich auf den Rücken. Der 63-Jährige war schon in den 1990ern als Helfer hier, hat Jahreszeiten, Zyklone und brusthohe Fluten miterlebt. "Man muss den Menschen eine Tätigkeit und eine Lebensgrundlage ermöglichen. Das ist das, was eigentlich alle wollen: in Ruhe leben", sagt Butschek.
2019 wurde ein neuer Friedensvertrag zwischen Frelimo und Renamo aufgesetzt, der eine Dezentralisierung der Verwaltungsmacht und eine Trennung des Staatsapparats und der Frelimo-Partei vorsieht. Seitdem gibt es neben einem von der Zentralregierung ernannten Repräsentanten in jeder Provinz einen von der Bevölkerung gewählten Gouverneur.
Zudem enthielt das Abkommen Integrationsmaßnahmen wie Pensionszahlungen an die letzten 5.200 ehemaligen Guerilla-Kämpfer – beim Friedensprozess 1992 waren diese gescheitert, die schlechte sozioökonomische Lage vieler Ex-Renamo-Kämpfer wird heute als Mitgrund für das Aufflammen der Kämpfe gesehen.
Zeitgleich hat die Frelimo-Regierung mit der EU das Projekt DELPAZ ins Leben gerufen. Dieses hat zum Ziel, nachhaltige Lebensgrundlagen für die Bevölkerung zu schaffen. In der Provinz Sofala wurde die ADA mit der Umsetzung betraut, Butschek leitet die Zusammenarbeit mit internationalen und lokalen NGOs. Unterstützt wird etwa beim Aufbau von Landwirtschaft und dem Einsatz effizienter Bewirtschaftungsmethoden, zum Beispiel beim Herstellen von organischen Pestiziden aus Knoblauch und Seife. Auch Samuels solarbetriebene Wasserpumpe ist ein Ergebnis des DELPAZ-Projekts. In anderen Dörfern wurden Brunnen finanziert.
Inês Júlio trägt einen bunten Rock aus traditionellem Stoff und ein leuchtend gelbes T-Shirt mit dem Logo einer westlichen Firma darauf. Sie und zwei Dutzend andere Dorfbewohner haben sich um den steinernen Brunnen versammelt. Im hiesigen Dorf Pungue leben Tausende Menschen, die im Rahmen des Konflikts vertrieben wurden.
Die Österreichische Entwicklungszusammenarbeit ist seit 1992 in Mosambik aktiv, vorwiegend als finanzielle Unterstützerin von Projekten. Diese müssen sowohl mit den Zielen der nationalen Regierung als auch mit den Strategien der österreichischen Entwicklungspolitik zusammenpassen. Die Austrian Development Agency (ADA), die Agentur der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit, wurde 2020 von der EU mit der Umsetzung des DELPAZ-Projekts in Sofala beauftragt. Das Projekt umfasst ein Budget von 11 Millionen Euro von der EU und einer Million Euro von der ADA, es läuft bis Ende 2024. Zwischen 2004 und 2023 hat die ADA Projekte in Mosambik mit insgesamt 123 Millionen Euro aus Österreich und der EU unterstützt. Aktuell fließen rund 11,5 Millionen Euro österreichischer Gelder in verschiedene, humanitäre Hilfsmaßnahmen in Mosambik.
Die 40-jährige Inês Júlio hebt ihre Stimme, wenn sie auf die Fragen der Besucher antwortet: Vor dem Brunnenbau mussten die Frauen – denn Wasserholen sei "ihre" Aufgabe – täglich eine Stunde zum Fluss und wieder zurücklaufen. "Das Wasserholen war lebensgefährlich", erzählt sie, wegen der Krokodile im Fluss – für die österreichischen Besucher unvorstellbar. Ungewollt fällt der Blick auf den einbeinigen Mann, der im Hintergrund der Menge auf Krücken gestützt steht.
Nun hätten sie zwei Stunden mehr am Tag zur Verfügung – für die Frauen bedeutet das nicht mehr Freizeit, sondern die Möglichkeit, am wirtschaftlichen Leben teilzunehmen: mehr Zeit für die Bestellung der Felder oder um am Markt die eigenen Erzeugnisse verkaufen zu können.
Eine der größten Herausforderungen, sagt Michael Butschek, sei es, "die Menschen dazu zu bringen, sich nach der Umsetzung eines Projekts eigenständig um dessen Erhalt zu kümmern." In der Dorfgemeinschaft in Pungue wurde deswegen für ein Komitee bestimmt, inklusive Schatzmeister, das sich um den Brunnen kümmert. Pro Familie wird monatlich ein Betrag von 50 Metical (umgerechnet 90 Cent) einsammelt – das soll den Willen der Bevölkerung zur Instandhaltung stärken.
Butschek ist vom DELPAZ-Projekt und dessen Umsetzung überzeugt: "Mit ganz wenig kann man hier ganz viel erreichen." Stolz zählt er die Erfolge auf: 53 solarbetriebene Wasserversorgungssysteme, Brunnen und Straßen für rund 125.000 Menschen wurden bisher gebaut; 308 Ausbildner in klimafreundlichen Anbaumethoden geschult, die an über 3.000 Bauern weitergegeben wurden. Eine Sicherung der Lebensgrundlagen, um Frieden und Stabilität zu gewährleisten – im Fachjargon heißt das "Security-Development-Nexus".
Beispielhaft für Frieden
In Mosambik scheint das aktuell zu funktionieren. Ein erneuter bewaffneter Konflikt zwischen Frelimo und Renamo gilt trotz unregelmäßiger Ausschreitungen (nicht selten mit Toten), etwa bei Wahlen, als unwahrscheinlich. Das DELPAZ-Projekt wird schon jetzt als beispielhaft gesehen für ähnliche Friedensprozesse in anderen Weltregionen.
Und doch ist der Krieg in Mosambik nicht Vergangenheit: In der rohstoffreichen Provinz Cabo Delgado im Norden wüten seit 2017 Islamisten; umstritten ist, ob sie wirklich, wie der IS behauptet, von diesem unterstützt werden. 1,2 Millionen Menschen wurden vertrieben. Die EU versucht, auch in diesem Bereich zu unterstützen: Im Rahmen der Trainingsmission EUTM werden mosambikanische Soldaten ausgebildet. Auch hier ist Österreich aktiv – mit der einzigen Offizierin der Mission.
Hinweis: Die Reise erfolgte auf Einladung der ADA. Die Kosten wurden zum Teil vom KURIER getragen.
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